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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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ihn reden.
    Was das für
eine Moral sei, hörte ich, mit der man sich immer den eignen Untergang schaffe.
    Aber darum ging’s mir doch
gar nicht! Dableiben sollte er, nicht mit mir über Moral diskutieren!
    »Siehe, ich
sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe«, das stehe schon im
Lukas-Evangelium.
    Es steht nicht im
Lukas-Evangelium, es steht bei Matthäus, doch das sagte ich nicht, ich wollte
seinen Widerstand nicht noch mehr vergrößern.
    »Du hast mich nicht
verstanden, oder?«
    Verstanden
werden wollte er nun auch noch!
    »Siehe, ich
sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe – kapierst du?«
    Ich kapierte
nur, dass er ging.
    Valentin, das Schaf!
     
     
    Ich weiß: Bevor ich mich
gestern hinlegte, hatte ich noch einmal nach Honza gesehen. Er lag auf seinem
Strohsack in der Ecke der Kammer da wie ein X, die Ärmchen über dem Kopf, die
Beinchen gespreizt. Er schwitzte, denn es war heiß, aber man konnte wegen der
Fliegen die Fenster nicht öffnen.
    Peter wird
warten, dachte ich noch. Ich hatte ihm versprochen zu kommen und war nicht da,
doch kam nicht zum ersten Mal etwas dazwischen. Ich schlafe ein bisschen, dann
geh ich hinüber. Und dann, weiß ich noch, muss ich hinüber gewesen sein,
hinübergeglitten von Halbschlaf in Ganzschlaf, denn entgegen dem Alarm, den
mein Herz schlug, dachte ich noch: Ich hab nur geträumt. Aber das hatte ich
nicht. Das war kein Gewitter!
    Vielmehr: Es tobte zwar eins.
Donner grollte. Blitze krachten. Irgendwo schlug Holz an Mauerwerk, dann wieder
der Donner, nur hatte ich lange genug unter Soldaten gelebt, um das
fauchend-knatternde Geräusch, das außerdem zu hören war, nicht zum Donner zu
zählen.
    Petarden! Mein
Gott, das waren Petarden! Sie sprengten die Stadttore auf!
    »Honzíčku!
Wach werden!« Ich riss ihn hoch, hatte ihn auf dem Arm, war draußen. Wo lang
denn? An der Mauer entlang in die Tuchmacherstraße, das war zu weit, ich rannte
über den Steg auf die Scharfrichterinsel. Ich sah Peter aus dem Wohnhaus
kommen, das weiß ich noch. Aber ich hatte keine Zeit für Schäferstündchen und
essbaren Lohn. Keine, diesmal, ihm zuzuhören. Die Geschichten seiner Kindheit,
des Ausgestoßenseins als Mitglied der Henkersfamilie. Ich hörte noch, dass er
etwas rief, aber ich rannte. Ich rannte am Garten, am Wohnhaus, an den Ställen
vorbei, rannte an dem Schuppen vorüber, in dem er mit dem Übungsschwert
manchmal Birkenstämmchen zerschlug. Ein Scharfrichter müsse stets in der Übung bleiben,
hatte er mir einmal erklärt, und der Liebeslohn, weil ich ihn auch noch
bewunderte, fiel in jener Nacht besonders großzügig aus. »Sie haben die Tore
gesprengt!«, rief ich ihm zu. Ich hörte nicht, was er sagte. Ich war schon
vorüber. Der andere Steg über die Dömnitz. Das hochgezogene Mühlenwehr. Die
Mühlenstraße. Schneller! Honza, erschrocken, auf meinem Arm, war ganz still.
Schneller, vorwärts! Ich musste vor den Soldaten bei Valentin sein!
    Ich rannte. Ich redete auf
Honza ein, bis ich dazu keine Luft mehr hatte. Ich merkte nicht, dass jemand
mir folgte.
     
     
    Auf dem Platz zwischen
Rathaus und Kirche hatte ich noch gehofft, im Schatten eines der Strebepfeiler
am Chor sei ich für sie nicht zu sehen. Da schrie Honza schon, wollten sie ihn
mir aus den Armen reißen, hielt ich ihn fest, sah ich den Degen, hörte ich
Judith: »Weg da! Weg von dem Kind!«
    Es war
Judith, ich hatte sie einmal von ferne gesehen. Es waren Judiths Hände, die den
Arm mit dem Degen nach unten zerrten, Judiths Kleider, die den Kerlen dann mehr
in die Augen stachen als ich, Judiths Kette, die einer ihr mit einem Ruck vom
Hals riss.
    »Wen haben
wir denn da! Na sieh mal an! Was haben wir denn hier für einen lohnenden
Braten!«
    Und dann ging
alles ganz schnell. Aus der Dunkelheit, die nur von dem flackernden Feuer an
der Rathausecke erhellt war, dem einzigen der gegen die Pest angezündeten
Feuer, das noch regelmäßig gewartet wurde, tauchte – während einer seine
Pistole auf Honza und mich richtete und ein anderer die seine auf Judith, die
den Ernst der Lage nicht begriff und mit dem Wallenstein’schen Reiterrecht
drohte! – plötzlich ein Offizier auf, befahl die Kerle dahin, dorthin, das hier
sei seine Sache. »Du bleibst bei mir!« Die Pistole sank, mein Bedroher
salutierte. In der Ferne hörte ich eine Frauenstimme: »Weg! In diesem Haus ist
die Pest!«, Männergelächter, denn diesen Trick kannten sie schon, und in der
Nähe Judiths Schrei, denn man hatte sie gestoßen und sie

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