Die Huren des Apothekers
Ausgestoßenen auf dieser Erde gehörte, so hoffte er trotzdem auf die höhere Gerechtigkeit Gottes. Solche Schufte wie die Kumpane Wendelins würde im nächsten Leben nicht das Himmelreich erwarten. Wobei er Wendelin noch in Schutz nehmen wollte, denn der wusste nicht einmal, wie böse er handelte. Wenn seine Freunde ihn anstachelten, war es für ihn eine ganz normale Arbeit.
Frank ging ein paar Schritte in den Wald hinein und tauschte sein auffälliges Henkersgewand gegen den billigen Anzug eines Bauern aus, wie er es schon die Tage vorher getan hatte. Auch das widersprach dem Gesetz, denn jeder, der mit einem Henker zu tun bekam, sollte das schon von Weitem erkennen, aber Frank hielt sich, soweit es ihm möglich war, daran, niemanden anzufassen. Nun, nicht so ganz. Gestern hatte er der Frau geholfen, sie dabei berührt und sogar tröstend über ihren nackten Rücken gestrichen. Das hätte er nicht gedurft. Wenn sie wüsste, dass ein Henker sie gerettet hatte, würde sie eher den Vollzug der Vergewaltigung wünschen, bevor sie die unreine Berührung duldete.
Sei’s drum, sie würde es nie erfahren. Schon heute trat er ihr nicht mehr gegenüber, bekam nur einen Zettel, mit dem sie sich nicht verunreinigen konnte.
In Gedanken versunken bewältigte Frank den Weg, ehe er es merkte. Schon stand er an der Abzweigung zu dem Anwesen des seltsamen Gelehrten, der in seinem Haus einen Uhrenturm hatte errichten lassen, nur damit er den Lauf der Sterne mit dem Ticken der Uhr vergleichen konnte, wie man in der Stadt munkelte. Auf diese Weise vermochte er es, die Zukunft vorherzusagen, sagte man. Frank hörte die Gerüchte des Ortes immer nur, wenn er unauffällig jemanden belauschte. In seiner Anwesenheit nahm nie jemand Rücksicht oder tat heimlich, weshalb er in der Regel gut informiert war. Und über diesen Gelehrten sprach man mit Hochachtung. Nicht nur dass er als Grundherr gerecht über die Seinen herrschte, er arbeitete für die erlauchtesten Persönlichkeiten, für Fürsten und Könige, Bischöfe und Kardinäle. Die beiden Damen, die sich auf den Richtsberg verirrt hatten, waren dann wohl seine Frau und seine Schwester.
Zögernd folgte Frank der Straße weiter. Würde er heute Gewissheit bekommen? Ein halbes Jahr lang jagte er einem Hirngespinst nach, dem Wunschtraum, eine Frau zu finden, die ihn liebte und mit der er sein Leben verbringen würde. Je länger sich die Suche nach seiner Bärbel zog, desto mehr neigte er dazu, seiner Stiefmutter zu glauben, die behauptete, Bärbel sei lieber fortgerannt, als ihm eine Ehefrau zu werden.
Was, wenn das böse Weib recht hatte? Wenn Bärbel ihn auf dem Richtplatz gesehen, wenn jemand ihr seine Suche zugetragen hatte? War das der Grund, warum sie schreiend die Zuflucht verlassen hatte, ihr Leben und ihr Kind aufs Spiel setzend, nur um ihm zu entkommen?
Er dachte so sehr über die Schuld anderer nach – wie wäre es, wenn er auch einmal sich selbst betrachtete? Vielleicht konnte Bärbel es in der Tat nicht ertragen, mit jemandem zusammenzuleben, der sich nicht einmal die wenigen Wochen bis zum Ende seiner Ausbildung beherrschen konnte, um die Ehe würdevoll zu beginnen?
Mitten auf dem Weg blieb Frank stehen, senkte den Kopf und ballte die Fäuste. Nein, er würde Bärbel finden und sie fragen. Sie sollte ihm selbst sagen, was sie von ihm hielt. Wenn sie ihn verstieß, wollte er nie mehr einen Gedanken an sie verschwenden. Er würde ihr die wenigen Taler schenken, die er in der Tasche trug, damit sie das Nötigste hatte. Damit wollte er sich gutwillig zurückziehen. Endgültig. Er würde in den Schwarzwald zurückkehren und nicht mehr von einem Leben zu zweit träumen.
Frank atmete tief durch, ließ die kalte Waldluft durch seine Lungen ziehen, bis seine Hände sich von selbst öffneten. Noch war nicht alles verloren. Vielleicht wartete Bärbel nur darauf, dass er sie abholte. Vielleicht.
Die Turmuhr des Gelehrten schlug Mitternacht. Frank stemmte die Füße in den Grund und ging die letzten Schritte zu Frau Mechthilds Anwesen. Zumindest wusste er dieses Mal, dass der blöde Wendelin ihn nicht heimlich begleitete.
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Hinter der Tür erwartete Luzia eine Treppe, die sich noch weiter in die Tiefe wand. Die ersten Stufen nahm sie ohne Nachdenken, dann überfiel sie jedoch wie ein Blitz die Erinnerung an ihr Verlies in Amorbach. Auch dort hatte sich eine Treppe in unerwartete Tiefen gewunden, zu einem Ort, von dem sie beinahe nicht mehr zurückgekehrt wäre. Sie beruhigte
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