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Die Huren des Apothekers

Die Huren des Apothekers

Titel: Die Huren des Apothekers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stöckler
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starrte auf sie herunter.
    Vor Schreck fiel Luzia fast von der Schräge, musste sich auf alle Viere herunterlassen, um nicht herabzupoltern. Nachdem sie wieder festen Halt hatte, wagte sie es, erneut hochzuschauen. Tatsächlich handelte es sich um einen Menschen, der dort schaukelte. Obwohl ihr Herz heftig wummerte, rief sie sich selbst zur Ordnung. Was sich dort mit der Zugluft bewegte, war eine Mumie. Genau deshalb war sie doch hergekommen! Sie wollte Mumien sehen und dort hing eine. Es verblüffte sie, dass der Apotheker sie wie Kräuterbündel aufhängte, aber da besaß er wohl entsprechende Erfahrungen, die ihn diese Art der Aufbewahrung gelehrt hatten. Die Mumie war auch keineswegs am Halse aufgeknüpft, sondern baumelte mit zwei durch die Schultern getriebenen Fleischerhaken an einer Querstange, die sich zwischen zwei Säulen spannte. Flüchtig überfiel sie der Gedanke an Schinken im Kamin.
    Zaghaft hob Luzia ihre Hand und tastete nach dem dürren Fuß, der sie so erschreckt hatte. Das Gewebe fühlte sich genauso fest und trocken an wie der Arm, der ein Stockwerk höher in dem Mörser lag. Vielleicht gehörte die Hand sogar zu dieser Mumie, denn ihr fehlten beide Hände. Nein, im Mörser steckte der Ellenbogen, während hier die Hände im Handgelenk abgetrennt waren. Genau wie bei dem Erhängten auf dem Richtsberg.
    Ob es da einen Zusammenhang gab? Sollte der Apotheker nicht nur mit seinen Pulvern Geschäfte machen, sondern die Hände der Mumien, die ja wenig Substanz zum Mörsern abgaben, nach den Rezepten der Diebeszunft verarbeiten? Betrieb er etwa schwarze Magie?
    Solange Luzia keinen Beweis dafür fand, wollte sie ihm nicht auch noch dies unterstellen. Sie richtete sich auf und betrachtete die Mumie genauer. Eigentlich hätte es sie gruseln müssen, so grässlich sah der Körper aus. Das grau verschrumpelte Fleisch schreckte sie nicht mehr, das hatte sie schon oben bei dem abgerissenen Arm gesehen. Auch die Füße, zu Klauen verkrümmt, erregten nur noch mäßig ihre Neugier. Allerdings ekelten sie der weit offen klaffende Brustkorb und die leere Bauchhöhle, deren Bedeckung zu eingerollten Lappen am Rand des Rückgrats zusammengeschnurrt war. Mit unverständlicher Faszination begutachtete sie jedes Detail. Die Gedärme fehlten, genauso Herz und Lungen, aber die Zunge lag noch verschrumpelt im offen stehenden Mund. Erstaunlich weiße Zähne wölbten sich vor zurückgezogene Lippen, die nur noch aus einem dunklen Strich bestanden. Anscheinend besaßen die alten Pharaonen tatsächlich das Geheimnis der ewigen Jugend, denn nicht ein Zahn fehlte oder war abgebrochen. Zähne wie ein junges Mädchen. Dieser Gedanke ließ ihren Blick tiefersinken zur aufgebrochenen Brust der Mumie. Tatsächlich ließen sich Wölbungen erahnen. Hatten die Pharaonen ihre Frauen mit in den Todesschlaf genommen? Verschämt spähte sie zwischen die dürren Oberschenkel. Viel konnte sie nicht erkennen, aber auf keinen Fall eindeutig Männliches.
    Über der eingefallenen Nase steckten in verschrumpelten Augenhöhlen noch Reste dessen, was wohl einmal Augen waren, nur noch Rosinen ähnlich. Und darüber … blonde Haare. Das überraschte Luzia von allem, was ihr heute begegnet war, noch am meisten. Pharaonen mit blonden, sorgfältig zu einem Zopf geflochtenen Haaren? Wie seltsam.
    Aus der Tiefe des Raums, woher sie die Stimmen gehört hatte, drangen Geräusche, Klappern, Quietschen und Rumpeln, als ob dort gearbeitet wurde. Vielleicht zerlegte der Apotheker eine weitere Mumie. Auf jeden Fall schien der unbekannten Frau nichts Böses zu geschehen, denn sie klagte nicht mehr. Das gab Luzia Gelegenheit, sich weiter hier umzusehen, ohne wegen ihr ein schlechtes Gewissen zu bekommen.
    So also sah eine Mumie aus. Nach Magdalenes Worten und den Beschreibungen des Apothekers hatte Luzia anderes erwartet, einen unversehrten Körper, der durch magische Handlungen zum Leben erwachte. Durch entsprechendes Wässern käme das Luzia auch gar nicht so unwahrscheinlich vor. Aber die groben Verletzungen machten da ihre Vorstellungen zunichte, denn wer konnte schon mit aufgebrochener Brust ohne Herz, Lungen und Eingeweide vom Tode auferstehen und wandeln? Andererseits … die Pfaffen auf der Kanzel erzählten doch, dass der Gläubige am jüngsten Tag auch von den grässlichsten Verletzungen genas und zur Rechten Gottes sitzen würde.
    Galt diese Genesung genauso für Heiden? Denn um solche handelte es sich bei Pharaonen. Gedankenverloren spähte Luzia an

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