Die Hurenkönigin (German Edition)
zu, der nun das Gewand in Augenschein nahm. Als seine feingliedrige Hand prüfend über die Perlenstickerei strich, wäre ihr um ein Haar das Herz stehengeblieben: Am Ringfinger trug der junge Mann einen Ring mit einem herzförmigen blutroten Rubin, der von goldenen Schwertern durchbohrt war – das Symbol der Schmerzensmutter.
Ursel wusste mit lähmender Gewissheit, dass ihr Leben in großer Gefahr war. Gehetzt blickte sie zur Tür und begegnete Liobas kalten Glasmurmelaugen, in denen etwas Triumphierendes lag.
»Hier ist ja schon eine Perle locker!«, vernahm sie plötzlich die quäkende Stimme des Freiherrn und fuhr zusammen.
»Das kann nicht sein«, murmelte die Hurenkönigin und blickte ihn erstarrt an.
»Doch!«, insistierte der Jüngling trotzig. »Komm Sie doch einmal her und schaue Sie sich Ihren Pfusch an.«
Wie in Trance ergriff die Hurenkönigin die Schneiderschere, die auf dem Tisch lag, und ging auf ihn zu. In diesem Moment traf sie ein harter Schlag in den Nacken, und ihr wurde schwarz vor Augen.
Umgeben von hohen Tannen, erhob sich vor Bernhard, Josef und dem Oberförster, der sich ihnen am Forsthaus angeschlossen hatte, das herrschaftliche Jagdschloss. Mit seinen bemoosten Fachwerkbalken und den verwitterten spitzgiebeligen Erkern, deren Fenster mit Eichenholzläden verschlossen waren, mutete das Gebäude nicht minder düster an als der Nadelwald und schien mit dem Tannengrün zu verschmelzen. Dem gesamten Ort haftete eine gespenstische Stille an, die Bernhard und seine Begleiter den Atem anhalten ließ. Mit einem Mal streifte ein Windhauch Bernhards schweißnasse Stirn, und er schrak zusammen, als eine große graue Eule in lautlosem Flug zwischen den Tannen davonstob. Lautes Donnergrollen ließ die Männer aufhorchen, und es wurde immer finsterer. Sie stiegen von den Pferden, banden die Tiere an Baumstämmen fest und näherten sich auf leisen Sohlen dem Haus. Bernhard war in diesem Moment sehr froh darüber, die beiden wehrhaften Burschen bei sich zu wissen. Doch auch ihnen schien bange zu sein. Alle drei hielten die massiven Holzprügel, mit denen sie sich im Forsthaus ausgerüstet hatten, fest umklammert, und Staudinger hatte zudem noch seine Armbrust umgeschnallt. Der Oberförster, der dem kleinen Trupp voranging, gab den anderen ein Zeichen, stehen zu bleiben.
»Er ist da«, raunte er den Männern zu und spähte angespannt um die Hausecke. »Da hinten vor dem Stall steht ein Pferd.«
Bernhard spürte, wie ihm die Haare zu Berge standen.
»Gut so, dann knöpfen wir uns den Kerl gleich vor!«, flüsterte Josef angriffslustig und näherte sich mit erhobener Keule der Haustür.
»Wartet«, mahnte der Oberförster leise. »Wir müssen erst sichergehen, ob es nicht noch einen zweiten Ausgang gibt. Nicht, dass der uns durch die Lappen geht.«
Als sich keine weitere Tür fand, postierte sich Staudinger an der Hausecke, um das Pferd im Auge zu behalten, und bedeutete Josef, er solle an die Tür klopfen.
»Aufmachen!«, rief der Hüne mit lauter Stimme und ließ den Holzprügel gegen die Tür krachen.
Als sich drinnen nichts rührte, polterte Josef erneut dagegen und brüllte: »Macht sofort auf, oder wir treten die Tür ein!«
Zunächst blieb es still, dann wurde zögerlich gefragt: »Wer ist da?«
Staudinger erkannte die Stimme des alten Berthold, der dem Freiherrn von Stockheim als Hausknecht und Jagdaufseher diente.
»Hier ist Oberförster Staudinger«, rief er. »Berthold, mach sofort die Tür auf!«
Der Schlüssel knirschte im Schloss, und gleich darauf stand ihnen in der Tür ein älterer Mann in Jagdkleidung gegenüber. In der Hand hielt er einen Schürhaken. Er blickte den Besuchern mit betretener Miene entgegen und fragte: »Was ist denn los? Warum macht ihr solchen Lärm?«
»Wir suchen den Freiherrn. Ist er da?«, erkundigte sich Bernhard bei dem Knecht, obgleich er die Antwort bereits ahnte.
»Nein«, erwiderte der Mann mit dem grünen Filzhut gepresst.
Bernhard stieg Rauch in die Nase, und er betrachtete den Schürhaken, den der Mann in der Hand hielt. »Macht Ihr gerade Feuer?«, fragte er.
»Ja«, erwiderte der Mann mit hektischem Blick. »Das ist doch nicht verboten, oder?«
»Verboten nicht, aber schon ein bisschen merkwürdig – bei dieser Schwüle«, schaltete sich der Oberförster ein und musterte den Hausknecht misstrauisch. Schnüffelnd bewegte er die Nasenflügel. »Das riecht doch nach … nach angebranntem Horn! Was verbrennst du denn da?«, brach es aus
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