Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion
versperrt. Jetzt war diese Wand verschwunden und eine Steinmetzarbeit prangte an ihrer statt, die dem Maul des Shrike nicht unähnlich war, da das Gestein zu dieser Verschmelzung von Mechanischem und Organischem gehauen worden war, mit Stalagmiten und Stalaktiten, so scharf wie Kalziumkarbonatzähne.
Hinter diesem Mal verlief eine Treppe aus Stein nach unten. Aus diesen Tiefen strömte das Licht hellweiß und im nächsten Augenblick blutrot. Kein Laut war zu hören, abgesehen vom Seufzen des Windes, als würden die Felswände atmen.
Ich bin kein Dante. Ich suchte keine Beatrice. Meine kurze Aufwallung von Mut – obschon Fatalismus ein treffenderer Ausdruck wäre – war mit dem letzten Tageslicht verschwunden. Ich drehte mich um und rannte die dreißig Schritte zum Eingang des Grabs fast.
Da war keine Öffnung mehr. Der Gang hörte einfach auf. Ich hatte keinen Lärm eines Einsturzes oder Erdrutschs gehört, und außerdem sah das Felsgestein, wo der Eingang gewesen war, so uralt und unberührt aus wie der Rest dieser Höhle. Eine halbe Stunde suchte ich nach einem anderen Ausgang, fand keinen, weigerte mich, zu der Treppe zurückzukehren und saß schließlich stundenlang dort, wo der Eingang zu dem Höhlengrab einmal gewesen war. Wieder ein Trick des Shrike. Wieder ein billiger theatralischer Kniff dieses perversen Planeten. Was Hyperion eben für einen guten Witz hielt. Ha ha!
Nachdem ich mehrere Stunden lang dort im Halbdunkel gesessen und zugesehen hatte, wie das Licht am anderen Ende der Höhle lautlos pulsierte, wurde mir klar, daß das Shrike hier nicht zu mir kommen würde. Der Eingang würde sich nicht durch Zauberei wieder auftun. Ich hatte die Wahl, entweder hier sitzen zu bleiben, bis ich verhungerte – oder wahrscheinlicher verdurstete, da ich bereits völlig ausgetrocknet war –, oder diese verdammte Treppe hinunterzugehen.
Ich ging hinunter.
Vor Jahren, buchstäblich vor Menschenaltern, als ich die Bikura bei der Kluft am Pinion-Plateau besucht habe, war das Labyrinth, wo mir das Shrike erschienen war, drei Kilometer unter der Felswand gelegen. Das war dicht an der Oberfläche; fast alle Labyrinthe auf den meisten Labyrinthwelten liegen mindestens zehn Klicks unter der Rinde: Ich hatte keine Zweifel, daß diese endlose Treppe ... eine steile, gewundene Spirale aus Steinstufen, so breit, daß zehn Priester nebeneinander in die Hölle hinabsteigen hätten können ... im Labyrinth enden würde. Dort hatte mir das Shrike den Fluch der Unsterblichkeit auferlegt. Wenn die Kreatur oder die Macht, die sie beherrschte, einen Sinn für Ironie besaß, wäre es passend gewesen, daß mein unsterbliches und sterbliches Leben dort gleichermaßen ihr Ende fanden.
Die Treppe wand sich nach unten; das Licht wurde heller ... eben noch rosa Glühen, zehn Minuten später grellrot, eine halbe Stunde später und tiefer flackernd scharlachrot. Für meinen Geschmack viel zu Dantemäßig und zuviel billige Fundamentalisteneffekte. Ich lachte fast laut beim Gedanken, ein kleiner Teufel mit Schwanz und Dreizack und zuckendem Schnurrbart würde erscheinen.
Aber ich lachte nicht, als ich die Tiefe erreichte, wo die Ursache des Lichts ersichtlich wurde: Kruziformen, Hunderte, Tausende, Zehntausende, anfangs noch winzig, hafteten an den rauhen Wänden des Treppenhauses wie derbe Kreuze unterirdischer Conquistadoren, dann größere und immer mehr, bis sie einander fast überlappten – korallenrosa, rot wie rohes Fleisch, blutrot und biolumineszent.
Mir wurde übel. Es war, als hätte man einen Schacht voll aufgedunsener, pulsierender Egel betreten, nur waren diese hier schlimmer. Ich habe die Ultraschall- und K-cross-Bilder des Medscanners von mir mit nur einem von diesen Dingern gesehen: Wuchernde Ganglien durchzogen mein Fleisch und die Organe wie graue Fasern, Stränge zuckender Fasern, Nematodenknäuel wie gräßliche Tumore, die nicht einmal die Barmherzigkeit des Todes gewähren. Jetzt hatte ich zwei an mir: Lenar Hoyts und meine eigene. Ich betete, daß ich lieber sterben würde, als noch eine zu ertragen.
Ich ging weiter nach unten. Nun pulsierte auch Hitze von den Wänden, nicht nur Licht, aber ob aus der Tiefe oder wegen den Kruziformen, die sich zu Tausenden drängten, vermag ich nicht zu sagen. Schließlich kam ich zur untersten Stufe, das Treppenhaus endete, ich ging um eine letzte Biegung des Gesteins herum und war da.
Das Labyrinth. Es erstreckte sich vor mir, wie ich es in zahllosen Holos und einmal
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