Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
persönlich gesehen hatte: glatte Tunnel, dreißig Meter Seitenlänge, die vor mehr als einer Dreiviertelmillion Jahren aus der Rinde von Hyperion geschnitten worden waren und den ganzen Planeten durchzogen wie von einem irren Ingenieur geplante Katakomben. Labyrinthe finden sich auf neun Welten, fünf im Netz, die anderen, wie diese, im Outback: Alle sind identisch, alle wurden zur selben Zeit in der Vergangenheit geschaffen, keines bietet Hinweise auf den Grund für ihre Existenz. Legenden über die Labyrinthbaumeister existieren im Überfluß, aber die mythischen Konstrukteure haben keine Artefakte hinterlassen, keine Hinweise auf ihre Methoden oder ihr außerirdisches Erscheinungsbild, und keine Theorie über die Labyrinthe kann einen logischen Grund für eines der gigantischsten Bauprojekte nennen, das die Milchstraße je gesehen hat.
    Sämtliche Labyrinthe sind leer. Fernsonden haben Millionen Kilometer der aus dem Stein geschnittenen Korridore erkundet, und die Labyrinthe sind konturlos und absolut leer, abgesehen von Stellen, wo Alter und Einbrüche die ursprünglichen Katakomben verändert haben.
    Aber nicht, wo ich jetzt stand.
    Kruziformen beleuchteten eine Szene von Hieronymus Bosch, als ich einen endlosen Korridor entlangsah, endlos, aber nicht leer ... nein, nicht leer.
    Zuerst dachte ich, es wären Massen lebender Menschen, ein Fluß von Köpfen und Schultern und Armen, der sich kilometerweit erstreckte, so weit ich sehen konnte, und der Strom der Menschen wurde nur hier und da von geparkten Vehikeln unterbrochen, die alle dieselbe rostbraune Farbe aufwiesen. Als ich weiterging und mich der Mauer dichtgepackter Menschen keine zwanzig Meter von mir entfernt näherte, wurde mir klar, daß es sich um Leichen handelte. Zehntausende, Hunderttausende menschlicher Leichen füllten den Korridor, soweit der Blick reichte; manche lagen ausgestreckt auf dem Steinboden, einige waren an den Wänden zerquetscht worden, aber die meisten wurden vom schieren Druck der auf sie getürmten Toten so dicht gepackt, daß sie diesen Abschnitt des Labyrinths verstopft hatten.
    Da war ein Weg; er führte zwischen den Leichen hindurch, als hätte sich eine Maschine mit Klingen durchgewalzt. Ich folgte ihm, achtete aber sorgfältig darauf, daß ich keinen der ausgestreckten Arme, keines der starren Beine berührte.
    Die Leichen waren die von Menschen, manchenorts noch bekleidet, und im Lauf von äonenlanger Verwesung in dieser keimfreien Umgebung mumifiziert: Haut und Fleisch waren ausgetrocknet, hatten sich gespannt und waren gerissen wie verfaulter Stoff, bis sie nur noch Knochen bedeckten, und manchmal nicht einmal mehr das. Haare waren als Strähnen staubigen Teers erhalten geblieben, die so steif wie gehärtete Fiberplastik waren. Schwärze gaffte unter offenen Lidern und zwischen Zähnen hervor. Die Kleidung, die einmal Myriaden Farben gehabt haben mußte, war braun oder grau oder schwarz geworden und so spröde wie aus dünnem Stein gehauene Gewänder. Bei im Lauf der Zeit geschmolzenen Plastikklumpen an Handgelenken und Hälsen hätte es sich um Komlogs oder deren Äquivalente handeln können.
    Die großen Fahrzeuge mochten einst EMVs gewesen sein, jetzt aber bestanden sie nur noch aus Rost. Hundert Meter weiter stolperte ich, und damit ich nicht von dem schmalen Pfad abkam und ins Meer der Leichen stürzte, hielt ich mich an einer der großen Maschinen fest, die nur aus Kurven und milchig gewordenen Kuppeln bestand. Der Rosthaufen stürzte in sich zusammen.
    Ich wanderte Vergil-los, folgte einem gräßlichen, aus Menschenfleisch geschnittenen Pfad und fragte mich, warum ich das alles zu sehen bekam, was es bedeuten mochte. Nach einer unbestimmten Zeitspanne, während der ich stolpernd zwischen aufgestapelten Bergen toter Menschen dahinschritt, kam ich an eine Kreuzung von Tunneln; alle drei Korridore vor mir waren voller Leichen. Der schmale Pfad führte in das Labyrinth links von mir. Ich folgte ihm.
    Stunden später, vielleicht länger, blieb ich stehen und setzte mich auf den schmalen Steinweg, der sich durch das Grauen wand. Wenn sich Zehntausende Tote in diesem kurzen Tunnelabschnitt befanden, mußte das Labyrinth von Hyperion Milliarden enthalten. Mehr. Die neun Labyrinthwelten zusammengenommen mußten eine Gruft für Billionen sein.
    Ich hatte keine Ahnung, weshalb mir dieses endgültige Dachau der Seele gezeigt wurde. In der Nähe meines Sitzplatzes schützte der mumifizierte Leichnam eines Mannes immer noch eine

Weitere Kostenlose Bücher