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Die in der Hölle sind immer die anderen

Die in der Hölle sind immer die anderen

Titel: Die in der Hölle sind immer die anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Walker Jefferson
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einem Gebüsch tot aufgefunden. Als Todesursache wurde Herzversagen angegeben. Das also waren die tragischen Umstände ihres Todes. Mir erschienen sie nicht besonders tragisch. Tausende Menschen sterben jeden Tag am Herzinfarkt, auch beim Joggen und auch wenn sie noch mitten im Leben stehen.
    Als ich wieder in Saarbücken war, erzählte ich Michael, daß Andrea Zitzelsberger tot war. Er antwortete nicht sofort. Einen Moment lang sah er mich so an, als müßte er überlegen, was er antworten sollte. Seine Augen waren zuerst wachsam, aber dann sah ich etwas darin, das ich seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hatte: unbändige, triumphierende Freude.
    „Wirklich?“ sagte er dann vollkommen ruhig. „Woher weißt du das?“
    „Das stand in der Süddeutschen.“
    „Seit wann liest du denn Münchener Zeitungen?“
    „Die lagen im Hotel aus.“
    „Ach ja. Woran ist sie denn gestorben? Sie war doch noch gar nicht so alt.“
    „Sie hatte einen Herzinfarkt beim Joggen.“
    Er sah mich einen Augenblick verblüfft an, dann lachte er laut und wiehernd auf wie ein Jugendlicher.
    „Tatsächlich? Einen Herzinfarkt, beim Joggen? Ist ja furchtbar. Da sieht man wieder einmal, daß Joggen eben doch nicht so gesund ist.“
    „Freust du dich, daß sie tot ist?“
    „Wieso, bist du traurig?“
    „Nein aber ...“
    „Also. Dann erzähl mir nicht, daß sie dir plötzlich leid tut. Sei froh, daß diese bayerische Schachtel endlich tot ist.“
    Er fing an, sie nachzumachen, mit einer imitatorischen Fähigkeit, die ich ihm nicht zugetraut hätte: Gell Herr Richter, also umbringen, gell, ich meine mit Tötungsabsicht, Herr Richter, also des hat mein Mandant aber nie beabsichtigt, gell.
    „Kannst du dich noch erinnern? Was hat uns dieses Arschloch alles angetan. Und jetzt, wo sie endlich tot ist, soll ich traurig sein?“
    Ich weiß nicht, warum ich Michael widersprach, aber irgend etwas an seiner Art gefiel mir nicht. Ohne daß ich es wollte, begann ich die Zitzelsberger zu verteidigen. „Sie hat nur ihre Pflicht getan, ich ...“
    „Sie hat weit mehr als ihre Pflicht getan, sie hat uns das Leben zur Hölle gemacht. Sie hat Recht und Gesetz so hingebogen, wie sie es wollte, und sie hat diese vermaledeite Gutachterin ins Spiel gebracht. Sie hat Florian das bißchen Würde, das bißchen Gerechtigkeit, das ihm in diesem Verfahren zugestanden hätte, auch noch genommen – das muß ich dir doch nicht sagen. Und dann diese schmierige Affäre mit diesem Abschaum der Menschheit - war das vielleicht auch ihre Pflicht? Interviews der beiden Turteltäubchen aus dem Gefängnis. Strafverteidigerin liebt Knast-Poeten, träumen davon, in den USA ein neues Leben zu beginnen. Muß ich dich daran erinnern?“
    Ich stand auf und ging aus dem Zimmer. Es hat keinen Sinn, mit Michael zu diskutieren, wenn er sich in Rage redet. Ich wußte, daß er Recht hatte; er macht es einem nur verdammt schwer, ihm zuzustimmen.
***
    Wenn ich gehofft hatte, daß Michael durch seinen beruflichen Erfolg und seine Tätigkeit im Kinderhospiz nun allmählich ruhiger werden würde, dann hatte ich mich getäuscht. Er ging zwar nur an drei Tagen in der Woche in seine neue Kanzlei, aber dafür trainierte er nun jede Woche viele Stunden. Bei Wind und Wetter rannte er stundenlang durch Wald und Feld, ging jede Woche ins Schützenhaus und schoß mit allem, was legal in Deutschland zu erwerben war. Er gewann Preise mit der Kleinkaliberpistole, mit dem Gewehr, bei Wettbewerben in der Dunkelheit und beim Schießen auf bewegliche Ziele. So, wie es einmal sein beruflicher Ehrgeiz gewesen war, beim Steuerberater- und Wirtschaftsprüferexamen einer der Besten in ganz Deutschland zu sein, so entwickelte er nun Ambitionen, einer der treffsichersten Schützen im Land zu werden.
    Im April 1999 lief er seinen ersten Marathon. Er wog mittlerweile achtzig Kilo und sah aus wie ein Strich in der Landschaft. Aus seiner fleischigen Nase war ein faltiger Haken geworden, der rötlich und scharf zwischen seinen buschigen grauen Augenbrauen hervorragte. Trockene weiße Falten zogen sich über seine braungebrannte Stirn und um seine Augen. Sein selbstbewußter, offener Blick war einem harten, nachdenklichen, mißtrauischen Starren gewichen. Sein kräftiger, voller Mund zog sich nun schmallippig und dünn nach unten. Er lief die zweiundvierzig Kilometer in dreieinhalb Stunden. Für einen Mann von fünfzig Jahren, der einen schweren Herzinfarkt hinter sich hatte, war das eine hervorragende Zeit, aber

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