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Die in der Hölle sind immer die anderen

Die in der Hölle sind immer die anderen

Titel: Die in der Hölle sind immer die anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Walker Jefferson
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systemkritische Intellektuelle mundtot zu machen. Dieser Artikel löste Solidaritätserklärungen von anderen Schriftstellern und Künstlern aus. Schließlich riefen über hundert Intellektuelle in halbseitigen Anzeigen in großen Tageszeitungen dazu auf, den Schriftsteller Falko Nicolai frühzeitig aus der Psychiatrie zu entlassen.
    Anselm Opratko, der Nicolais Roman In die Hölle und zurück verfilmte, sagte dem Bayerischen Rundfunk: Ein komplizierter, manischer, abscheulicher, aber genau deswegen faszinierender Mensch, ein Mörder: ganz klar, ein Vergewaltiger: natürlich, ein Schizophrener mit sadistischem Einschlag: sowieso - aber was für ein wunderbarer Dichter. Natürlich ist er schwierig, die Arbeit mit ihm war die Hölle, er leidet an tausend Manien, Phobien und dem ganzen Zeug, wie alle echten Genies, aber er ist die stärkste literarische Begabung seit Uwe Johnson, ein Mann wie Jean Genet oder Jörg Fauser, und das will doch was heißen.
    Ich wußte nicht mehr, wo mir der Kopf stand. Für mich war das so, als wäre Florian ein zweites Mal ermordet worden. Alles ging nochmal von vorne los. Einen Unterschied gab es jedoch zum ersten Mal: Dieses Mal waren wir die Schuldigen und Nicolai das Opfer. Einer der größten zeitgenössischen Schriftsteller saß im psychiatrischen Maßregelvollzug, wo er mundtot gemacht wurde. Und schuld daran war unser toter Florian.
***
    Michael schien der ganze Rummel um Nicolai nichts auszumachen. Er redete nie darüber, er las keine Zeitungsartikel über Nicolai, er ging nicht in seine Theaterstücke, und er kaufte sich auch kein Buch von ihm. Und doch veränderte er sich genau zu dieser Zeit stärker als in all den Jahren zuvor. Er wurde schweigsam, nachdenklich und gleichzeitig mild und nachsichtig. Er kam mir vor wie ein lächelnder Buddha, der mehr weiß, als er sagt. Eine innere Kraft schien ihn zu durchdringen, die ihn gesund machte.
    Am Abend ging er nun regelmäßig zum Laufen. Ich stellte mir darunter zwei Runden durch den nahen Wald in einem flotten Gehtempo vor. Ich war also einigermaßen überrascht, als ich irgendwann exakte Listen fand, in denen er eingetragen hatte, wann er wie weit und wie lange mit welchem Durchschnittspuls gelaufen war. Die Liste ging über ein Jahr, und wenn das stimmte, was da stand, dann lief er dreimal in der Woche zehn Kilometer in einer Stunde. Damals ahnte ich noch nicht, daß dieses Lauftraining die ersten Anzeichen eines Planes waren, den er nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus gefaßt hatte. Ich dachte, er läuft aus denselben Gründen, aus denen andere Menschen auch laufen: weil sie fit und schlank sein wollen, und weil sie Spaß an der Bewegung haben. Das mag bei Michael auch eine Rolle gespielt haben, aber für ihn war das Laufen nur ein Steinchen in einem viel größeren Mosaik.
    Als nächstes trat er in den Schützenverein Zweibrücken ein. Auch davon sagte er anfangs kein Wort. Ich hörte zum ersten Mal von diesem neuen Hobby, als er eines Abends mit einer schwarzen Ledertasche nach Hause kam. Neben der Ledertasche lagen drei oder vier Pappschachteln, auf denen messingfarbene Patronen abgebildet waren.
    „Was ist denn das?“
    „Das sind 9-Millimeter-Patronen.“
    „Wofür?“
    „Für meine Pistole.“
    Ich sah ihn erstaunt an.
    „Seit wann besitzt du eine Pistole?“
    „Schon länger.“
    „Wo hast du die her? Hast du sie schwarz gekauft?“
    Er schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein, ich habe einen Waffenschein.“
    Er zog ein gefaltetes Dokument, das wie ein Führerschein aussah, aus seiner Geldbörse.
    Ich bekam eine merkwürdige Ahnung. „Michael, jetzt laß dir nicht alles aus der Nase ziehen. Du hattest doch früher nie eine Waffe – warum jetzt?
    „Zu unserem Schutz. Wir wohnen doch direkt am Wald.“
    Ich glaubte ihm. Kurz nach Florians Tod hatte auch ich einmal daran gedacht, mir eine Waffe zu besorgen, aber den Gedanken sofort wieder aufgegeben, da ich gar nicht gewußt hätte, wo ich eine kaufen sollte.
    Eines Tages hörte ich Schüsse aus dem Wald hinter dem Haus. Ich ging zum Gartenzaun und lugte zwischen den Bäumen durch. Da stand Michael und zielte mit einer großen, schwarzen Pistole auf eine Pappfigur, auf deren Brustpartie konzentrische Kreise gedruckt waren. Er sah erstaunlich professionell aus. Er trug Schallschützer und zog jedesmal, bevor er schoß, die Pistole aus einem Holster über seiner linken Brustseite. Manchmal schoß er mit beiden Händen, manchmal schoß er aus der Hüfte, dann

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