Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die indische Erbschaft

Die indische Erbschaft

Titel: Die indische Erbschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
Vom Netzwerk:
eine Ähnlichkeit haben sollte, „es müßte schon ein unglaublicher Zufall sein, der ihn gerade hierher führt.“
    Sie nahm einen kleinen Schluck aus ihrem Kelch und schaute ihm über den Rand des Glases in die Augen. „Er ist ein fabelhaft gut aussehender Mann“, sagte sie nachdenklich, „aber merkwürdig, was mich an ihm am meisten stört, ist, daß er so jung ist, knapp zwei Jahre älter als ich — ich finde junge Männer einfach unausstehlich. Ich finde sie eitel wie Hähne, die sich einbilden, die Sonne gehe jeden Morgen deshalb auf, weil sie krähen...“
    „Wenn ich dem beistimmen würde, dann klänge es so, als spräche ich in eigener Sache“, murmelte er; „aber wenn ich daran zurückdenke, wie ich selber mit dreißig war — dann könnte ich jeder Frau nur raten, einen etwas älteren Mann zu wählen.“
    „Sehen Sie, Sie sagen es selbst! Das Unangenehme dabei ist nur, daß ältere Männer ihre Wahl zumeist schon getroffen haben. Und wenn sie zufällig noch frei sind, dann stecken sie so im Geschirr wie Sie, lieber Herr Ströndle. Diese Männer gehen dann wie mit Scheuklappe durchs Leben und haben nur noch Augen für ihre Arbeit.“
    „Das kommt auf die Frau an!“ sagte er feurig und wollte die Gläser noch einmal füllen lassen, aber sie winkte ab: „Nein, bitte nicht mehr! Sie haben morgen einen anstrengenden Tag vor sich — und ich spüre die Reise und den langen Tag, der hinter mir liegt. Lassen Sie uns aufbrechen.“ Ein Taxi brachte sie ins Hotel zurück. Es war eine halbe Stunde vor Mitternacht, und die Straßen wimmelten von Fahrzeugen und Menschen. In eine breite und endlose Kolonne von Autos eingeklemmt, schob sich ihr Wagen über den Piccadilly vorwärts, während der Gegenstrom an ihnen vorüberbrauste und eine Völkerwanderung von Fußgängern sich gegen Bond Street und Piccadilly-Circus hin bewegte. Die Kurve, die der Wagen in die Regent Street nahm, drückte Wilhelm Ströndle gegen Jutta Wendlands Schulter. Es war eine Berührung, die ihn wie ein elektrischer Schlag durchfuhr, und der leichte Widerstand, mit dem sie sich gegen ihn stemmte, raubte ihm fast die Besinnung. Plötzlich griff er nach ihrer Hand, es war wie ein Überfall, aber sie erschrak nicht, sondern überließ ihm ihre Finger und duldete es, daß er sie einzeln an seine Lippen preßte.
    „Ich will leben!“ sagte er leidenschaftlich bewegt, „und ich werde leben! Ich werde alles nachholen, was ich versäumt habe! Und ich habe viel versäumt! Alles...“
    Ihre Fingerspitzen streichelten zögernd seine Lippen, ihr Entgegenkommen machte ihn kühn, er versuchte, sie in seine Arme zu reißen und zu küssen. Für einen Augenblick schien sie in seinem Feuer zu schmelzen und kraftlos zu werden und saugte sich an seinem Munde fest. Es war ein Kuß, der ihn glauben ließ, sein Herz müsse aussetzen.
    Aber schon in der nächsten Sekunde drückte sie sein Gesicht behutsam von sich fort: „Nicht so wild!“ flüsterte sie ihm zu, „der Chauffeur beobachtet uns in dem Rückspiegel!“
    „Jutta!“ stammelte er atemlos, „mein Liebling...“
    „O Wilhelm“, seufzte sie mit einem Klagelaut, „in was für eine schreckliche Lage bringst du mich? Wie soll das weitergehen? Stanton Grey wartet auf mich! Und ich bin nicht die leichtsinnige Frau, für die du mich zu halten scheinst — oh, für die du mich jetzt fast halten mußt...!“
    „Still, mein Liebling“, flüsterte er ihr ins Ohr, „vergiß Stanton Grey! Du bist nicht die Frau für einen kleinen Versicherungsangestellten! Du gehörst zu mir! Und ich will dich verwöhnen, wie du noch nie verwöhnt worden bist. Ich werde dir alle Träume erfüllen. Ich werde dir Paläste bauen, und ich werde dir den kostbarsten Schmuck der Welt und die erlesensten Kleider schenken...“
    „Du willst mich heiraten?“ fragte sie, als könne sie es nicht glauben und nicht fassen.
    Ihre Frage überrumpelte ihn, so weit hatte er die Züge eigentlich noch nicht vorausberechnet, aber war die Entscheidung eigentlich nicht schon längst gefallen? Martha würde in die Scheidung einwilligen, daran zweifelte er nicht einen Augenblick, und daß er sich ihr gegenüber generös verhalten würde, das war nur recht und billig. Auf ein paar Millionen sollte es ihm nicht ankommen, um ihr ein sorgloses Leben zu sichern.
    „Ja, mein Liebling!“
    Dieses Mal störte sie der Rückspiegel nicht, als er sie küßte; er tat es auch nicht mehr so stürmisch wie vorher, sondern zart und fast feierlich. Der

Weitere Kostenlose Bücher