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Die innere Freiheit des Alterns

Die innere Freiheit des Alterns

Titel: Die innere Freiheit des Alterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Riedel
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und das auch diesen Titel trug.
    Es gibt also noch einmal eine neue Stufe der Selbstannahme im Alter. Selbstannahme scheint mir zugleich eine Voraussetzung dafür zu sein, im Alter auch allein sein, alleinstehen zu können. Es gilt vor allem, sich als alternder Mensch akzeptieren zu können, der eben nicht einen Unwert, sondern als gereifter Mensch einen ansehnlichen Wert verkörpert und in eine neue Würde eintritt. Wir können damit nicht warten, bis unsere ganze Gesellschaft das Alter und die Alten wieder würdigt. Mit jeder alten Frau aber, jedem alten Mann, die in diese uralte Würde des Alters, die frühe Kulturen kannten, wieder eintreten und mit ihr auftreten, wächst die Chance, als alte Menschen wieder geachtet zu werden. Wer mit Würdeauftritt, wird die Erfahrung machen, dass er oder sie nicht übersehen wird.
    Ein eindrucksvolles Beispiel solcher Selbstannahme gibt mir die reife Einstellung einer Frau, die nach vielen Ehejahren von ihrem Mann, einem Künstler, schließlich um einer jüngeren, attraktiven und sehr vitalen Frau willen verlassen wurde. Auch in ihrer ersten Enttäuschung vermutete sie schon, dass sich ihr Mann von dieser neuen Partnerin erhoffte, sie könnte ihn über seine regelmäßig wiederkehrenden depressiven Phasen, die auch mit Stagnation im Schöpferischen einhergingen, hinwegbringen.
    Die verlassene Frau vermochte es, durch reife Einfühlung in sich selbst, aber auch in die beiden anderen Beteiligten in diesem Beziehungsdreieck, die narzisstische Kränkung zu überwachsen, die solches Alleingelassenwerden nach langer Zusammengehörigkeit und gar an der Schwelle des Alters bedeutete, vermochte diese Erfahrung durch bewusstes Aufrufen ihrer guten Erinnerungen an diesen Mann allmählich zu integrieren, aber nicht ohne ein angemessenes Aussprechen ihres Zorns und ihrer Enttäuschung ihm gegenüber. Letztlich bewahrte sie auch liebevolle Gefühle für ihn. Sie verstand die Erwartung ihres Mannes immer besser, durch Verbindung mit jener vitalen Frau seine wachsenden Depressionen im Alter überwinden zu können. Und so fühlte sie sich nach den ersten Jahren der Trennung, in denen der Schmerz überwog, schließlich doch auch entlastet, hatte sie ihn doch zuvor immer wieder aus seinen Depressionen herausholen müssen.
    Durch sorgfältiges Beachten ihrer Träume, durch Malen und Musizieren konnte sie die Enttäuschung so weit verarbeiten, dass sie ihre nun freiere und selbstbestimmte Lebensweise im Alter immer freundlicher ansehen und schließlich anzunehmen vermochte. Sie genoss die Freiheit, spontan kleinere Reisen zu unternehmen, von der Schweiz in den Schwarzwald, aber auch nach Böhmen, und dort ihren breit gefächerten kulturellen und historischen Interessen zu folgen, für die ihr Mannkeinen Sinn gehabt hatte. Zugleich gab sie hie und da noch Musikunterricht für begabte Schüler, was einst ihr Hauptberuf gewesen war. Das Wandern in den Bergen, alleine, aber auch mit guten Bekannten, machte ihr nachhaltig Freude.
    Unter den alleinstehenden Menschen, die mich beeindrucken, ist auch ein ehemaliger Bahnwärter, an dessen winzigem bebauten Grundstück ich oft vorbeikomme. Es scheint seine ganze Freude zu sein. Ohne große Ansprüche an das Leben, wie es scheint, hatte er sich nach seiner Berentung ein handtuchartig schmales Feld unmittelbar hinter dem Bahndamm erworben, das wohl zu anderen Zwecken unbrauchbar war. Jeden Morgen aber und oft auch am Abend während meines Urlaubs, da mein Spazierweg an seinem Grundstück vorbeiführte, sah ich ihn unermüdlich tätig: Er hatte wunderschöne Blumen und zahlreiche Sorten von Gemüse angebaut, zuletzt, das rührte mich am meisten, zwei Zeilen von Weinreben. Wann immer man vorbeikam, pflanzte er, begoss, beschnitt, erntete er, immer alleine, aber immer wie erfüllt von seinem Tun. Er lebte den ganzen Sommer über in einem selbst zusammengebastelten Holzschuppen mit bunten Türen und Fensterläden, hatte offenbar einen Regenwasserbrunnen, dessen Wasser er überall hinleitete oder in Eimern beförderte. Sprachen Menschen ihn an, was hie und da geschah, weil sein Anbau interessant wirkte, stand er freundlich Rede und Antwort. Er verstand, alleine zu leben, erfüllt von seinem Sein und Tun. »Heiterkeit, güldene, komm«, so schrieb der alte Friedrich Nietzsche, der weiß Gott nicht immer unter dem Stern der Heiterkeit gestanden hatte.
    Außer in den Jahren mit ihrem Mann habe sie immer allein gelebt, sagte eine seit langem verwitwete Freundin, die

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