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Die innere Freiheit des Alterns

Die innere Freiheit des Alterns

Titel: Die innere Freiheit des Alterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Riedel
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Kindern dazu ernannt werden: Vor der Wohnung einer verwitweten alten Dame in unserem Haus sah man jeden Nachmittag bis zu sechs Paare kleiner Schühchen stehen. Da wusste man: Die Kinder der Nachbarschaft waren wieder zu Besuch. Sie kamen gerne zu ihr, weil sie sich Zeit für sie nahm, ihnen zuhörte, mit ihnen malte, spielte und erzählte. Märchen waren es und andere Geschichten, die sie vorlas oder selbst extra für die Kinder erfand. Für die Älteren unter den Kindern waren es auch Geschichten aus der früheren Zeit, davon, wie man damals lebte, was damals passierte – als zum Beispiel der Bodensee sogar den Markt von Konstanz überschwemmte …
    Eine andere Wahlgroßmutter, von einem adoptierten Geschwisterpaar spontan dazu ernannt, als sie etwa in der Pubertät waren, konnte den beiden ein Leben lang aus ihrer Erfahrung heraus mit Rat und Tat zur Seite stehen, auch in Beziehungskrisen, die sie nicht unbedingt jedem mitteilen wollten. So ist es für viele möglich, entweder durch die eigenen Enkel oder durch freie Wahl aus der Enkelgeneration zur Großmutter, zum Großvater gekürt zu werden – und damit einen neuen Lebenskreis und eine neue Aufgabe zu finden, damit aber auch den Anschluss an die nachwachsende Generation zu gewinnen.
    Freilich kann das nicht alles sein, was an Beziehungen im Alter angestrebt wird, weil man gerade auch im Alter den Kontakt zu Gleichaltrigen oder doch zu erwachsenen Gesprächspartnern braucht, auch um über die Fragen des Alters sprechen zu können. Manche finden solchen Kontakt sogar oder gerade im Altersheim wieder, wie eine Bekannte, die, nachdem sie sich lange gesträubt hatte, das Heim zu beziehen, auf einmal feststellte, dass etliche Menschen ihrer Generation, mit denen sie in der Schule und in der Ausbildung zusammen gewesen war, nun ins höhere Alter und damitauch ins Altersheim gekommen waren. In einer ganzen Gruppe von alten Bekannten, beladen mit Einkaufstaschen nach ausgiebigem »shopping«, sah ich die alte Dame ganz vergnügt kürzlich in der Stadt wieder.
    Vor allem aber bedeuten, wie schon gesagt, Jugendfreundschaften, Studienfreundschaften nun wieder sehr viel. Auch wenn man sie vielleicht über längere Strecken des Lebens vernachlässigte und nur noch als »historische Freundschaften« betrachtet hatte, bedeuten uns die Menschen, mit denen wir die Erinnerungen an Schul- und Studienzeit teilen und austauschen können, wieder viel mehr als in den zurückliegenden Jahren, selbst wenn unsere aktuellen Interessen inzwischen weit auseinander liegen. Das ist so, weil die Erinnerung an Schul- und Jugendzeit wie aus der Latenz erwacht und als gemeinsamer Wurzelgrund unserer Lebensgeschichte kostbar wird.
    Klassentreffen finden im Alter häufiger statt als früher und werden auch lieber besucht. Die Lebensgeschichte der anderen mit der eigenen zu vergleichen, regt ungemein an, die Gemeinsamkeiten und Unterschiedlichkeiten in den Blick zu nehmen und sich selbst dadurch besser zu verstehen. Der Vergleich hilft, sich jeweils die eigene Lebensgeschichte zu vergegenwärtigen und in Abgrenzung zu den Gleichaltrigen die eigene Alters-Identität neu zu bestimmen.
    Umso kostbarer sind die Schul- und Studienfreundschaften, die nicht nur historisch wichtig geblieben sind, sondern ein ganzes Leben hindurch lebendig und aktuell waren; diejenigen, bei denen auch trotz unterschiedlicher Berufe und Interessenlagen der Kontakt nie abgerissen ist, sondern brieflich, telefonisch – neuerdings sogar per E-Mail – und auch durch regelmäßige Treffen aufrechterhalten wurde. Solche Menschen, die wie Zeugen unseres frühen Lebens sind, ermöglichen uns, das Leben als ein Ganzes zu sehen, wie es im Alter ein Bedürfnis ist.
    Solche Menschen, die uns freundschaftlich bejahen, vielleicht sogar durch Liebe verbunden sind, sind Zeugen unseresWertes, auch unseres Selbstwerts. Manche Menschen, die uns durch die weite räumliche Entfernung oder auch, weil man sich auseinandergelebt hatte, für Jahre verloren schienen, finden sich auf einmal wieder ein, werden dankbar wiedergefunden.
    Eindrücklich schildert dies der Traum einer Frau in diesen Jahren, die sich vorgenommen hatte, zu ihrer Geburtstagsfeier Menschen aus allen Lebensphasen einzuladen. Der Traum nimmt schon vorweg, wer da alles zusammenkommen wird, nämlich die Arbeitskollegen aus früheren Berufsphasen, ein feinsinniger junger Theologe auch, der sie in jungen Jahren an religiöse Fragen heranführte, ein engagierter alter Linker, der

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