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Die Insel der Witwen

Die Insel der Witwen

Titel: Die Insel der Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Fohl
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sie den Verstand verlor, wie nichts von dem, was sie lebte, wahrhaftig war. Das Meer brodelte, das Gelächter, dieses wahnwitzige Gelächter. Es verfolgte sie. ›Du bist ein Traumgespinst, ein Gespenst!‹, kreischte das Gelächter, ›komm, Andreas!‹ Die Düsternis, die in ihr aufstieg, machte ihr Angst. Sie fürchtete sich vor sich selbst. Sie war ein Gespenst, mit Pech bestrichen. Sie hörte einen Schrei. War es ihr Schrei?
    Die Wellen schoben sie ans Ufer zurück. Sie zog ihr durchnässtes Kleid und ihre Schwermut durch die schäumende Gischt, den Schmerz, glücklich gewesen zu sein, das Verhängnis, zu lieben.
    Keike kniete im Sand, blickte in den Himmel, sah den rötlichen Schimmer des Mondes hinter den Wolken. ›Steh auf‹, sagte der Mond, ›geh zu deinen Kindern.‹
     

2
    Alles war festlich geschmückt. Überall wippten Girlanden im Wind. Das Dampfschiff seiner Majestät des Königs von Preußen kam auf die Insel zu gefahren. Die Inselbewohner hatten sich in ihren Festtrachten an der Mole eingefunden. Sie hielten Fähnchen in der Hand. Auch die Witwen. Keike schwenkte keine Fahne. Die Handwerker standen Spalier. Die Maurer waren mit Schurzfellen umgürtet und trugen Kelle und Hammer oder Blattbeile, mit blauen und weißen Bändern verziert. Daneben die Zimmerleute mit ihren großen Hüten. An den Ärmeln ihrer Festkleider flatterten bunte Bänder.
    Als das Schiff vor Anker ging, ertönten Salutschüsse. Der König kam an Land. Der Regierungsbaurat, der Landrat und Andreas begrüßten ihn. Der Baurat hielt eine Ansprache.
    »Ehrenwerte Majestät, im Namen aller Taldsumer heiße ich Euch so untertänig wie herzlich willkommen. Wenn auch der Empfang, den wir Ehrenwerter Majestät bereitet haben, dem Äußeren nach nicht so glänzend sein wird wie in großen Städten, so liegt das nicht an unserem guten Willen, sondern in unseren geringen Kräften. Ich kann Ehrenwerter Majestät jedoch versichern, dass unser Glück und unsere Freude, unseren erhabenen und ruhmgekrönten Monarchen von Angesicht zu Angesicht kennenzulernen, ebenso groß ist wie dort. Ich hoffe, dass Ehrenwerte Majestät bei Ihrem Weggange von hier die Überzeugung mit hinwegnehmen werden, dass die Bewohner der Insel ihren Allergnädigsten König lieben und ehren und Allerhöchstdemselben in Treue ergeben bleiben.«
    Alle schrien ›Hurra‹ und schwenkten ihre Fähnchen. Wieder ertönten Kanonenschüsse. Das Musikkorps, das vom Festland gekommen war, begann zu trommeln und trompeten. Der König bestieg die Kutsche, die mit Blumen und Wimpeln verziert war.
    Der Festzug setzte sich in Bewegung. Die Musiker bildeten die Spitze, danach folgte die Kutsche des Königs. Die Inselbewohner liefen hinter dem königlichen Wagen.
    Mit Tschingderassassa hielt der Zug am Leuchtturm. Der König setzte sich auf den roten Sessel, der vor der Leuchtturmtreppe für ihn bereitstand. Über ihm war ein Transparent gespannt.
     
    Glück zu dem Könige!
    Wer mich ehrt, den will ich wieder ehren!
    Fürchte Gott, ehre den König!
    Heil, König, Dir!
    Vom Fels zum Meer!
     
    Die Menschen versammelten sich um den König. Andreas Hartmann ergriff das Wort: »Ich bitte nun untertänigst Ehrenwerte Majestät den Leuchtturm einzuweihen, von dessen Spitze ein Leuchtfeuer den Schiffern in finsteren und stürmischen Nächten als Leitstern dienen wird.«
    Der König erhob sich, nahm die Schere zur Hand und schnitt das Band durch, das über den Treppenaufgang gespannt war. Kanonenschüsse ertönten.
    »Hurra, hurra!«
    Andreas Hartmann ermahnte alle zur Stille. »Indem ich den tiefsten Gefühlen meines Herzens Ausdruck verleihe, spreche ich nur die Gefühle der Anwesenden aus und bringe seiner Majestät ein donnerndes Hoch aus!«
    »Hoch! Hoch! Hoch!«, echote es aus der Menge.
    Die Musiker spielten Heil dir im Siegerkranze. Alle sangen den letzten Vers von Nun danket alle Gott.
    Keike sang nicht. Die Verzweiflung quälte sie so sehr, dass ihr kalter Schweiß ausbrach und sie sich vor Schmerzen krümmte. Sie wollte zu Andreas laufen, wollte schreien, dass sie ihn liebte.
    »Ich lie …!«
    Stine hielt ihr den Mund zu. »Bist du verrückt?«, zischelte sie.
    Der Pastor trat vor. »Gelobt sei Jesus Christus. Der Leuchtturm ist errichtet. So seid ihr Menschen auf der Insel nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Gottes Hausgenossen, erbaut auf dem Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau ineinandergefügt wächst zu einem

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