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Die Insel der Witwen

Die Insel der Witwen

Titel: Die Insel der Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Fohl
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Herr.
     
    Verzehre Stolz und Eigenliebe
    und sondre ab, was unrein ist,
    und mehre jener Flammen Triebe,
    die nur auf dich gerichtet ist.
     
    Jensen stieg in die Kanzel. »Herr, ich bin eingekommen in dieses Dein heiliges Haus, zu hören, was Du, mein Schöpfer, Du, Herr Jesu, mein Erlöser, im Leben und Sterben mein Tröster, willst zu mir reden. Herr, öffne also auch mir mein Herz durch Deinen Heiligen Geist, um Jesu Christi willen, dass ich aus der Predigt lernen möge, zu sorgen über meine Sünden und im Leben und Tode zu glauben an Jesum, auch von Tag zu Tag in einem heiligen Leben mich bessere. Das höre und erhöre Gott, durch Jesum Christum, unsern Herrn. Vater unser … Amen.«
    Andreas Hartmann blickte zur Kirchentür. Nichts.
    Jensens Näselstimme wurde ihm unerträglich.
    »Wenn Elend und Unglück in ein Haus kommen, lernen wir mit Gottes Hilfe, unser Schicksal zu tragen. Das Kreuz, das Gott den Menschen auferlegt, lässt sich erdulden. Wenn sich jedoch ein Mensch aus seiner eigenen Sünde und Schuld heraus ein schweres Kreuz zimmert, ist es eine schwere Last, unter der er zusammenbricht. Was durch Bosheit des Menschen entsteht, ist nicht leicht, doch was aus Gottes Hand dir kommt, nimm es hin und trag es willig. Ich will euch ein Beispiel geben …«
    Plötzlich riss die Kirchentür auf. Ein Kirchendiener schrie: »Feuer, Feueeer!«
    Alle sprangen von ihren Bänken auf. Andreas Hartmann lief mit den anderen zum Ausgang. Brandgeruch strömte ihm entgegen. Im Norden sah er Rauchwolken aufsteigen.
    »Die Funken!«, schrie eine alte Frau. »Unsere Häuser! Holt Eimer! Schnell, schnell!«
     
    H
     
    Am Abend kam Stine. Sie war über und über mit Ruß bedeckt. Auch ihr blondes Haar war rußgeschwärzt. Sie roch nach kaltem Rauch und Ascheflocken. Der strenge Geruch breitete sich im ganzen Zimmer aus. Müde ließ sie sich auf den Stuhl sinken. Sie wischte sich über die geschwärzte Stirn.
    »Wir liefen zum Brunnen, bildeten eine Wasserkette, schütteten Eimer für Eimer auf das Flammenmeer. Dann trieb der Wind das Feuer in die Heidefelder. Das Heidekraut brannte wie Zunder. Es hat ja lange nicht geregnet. Wir gaben nicht auf. Einige versuchten das Heidefeuer zu ersticken, die anderen das Pastorat zu löschen. Alles ist verbrannt, Keike, nur noch ein Haufen Asche. Die Heidefelder sehen aus, als hätte jemand die Dünen mit einem schwarzen Tuch abgedeckt und das Pastorat ist bis auf die Grundmauern abgebrannt.«
    »Ein Glück, dass das Haus leer stand und das Feuer nicht auf andere Häuser übergegriffen hat.«
    Stine gähnte. »Ich geh jetzt, Keike, ich will nur noch schlafen. Was macht der Schwiegervater?«
    »Es wird nicht besser, er fiebert.«
    »Ich komme morgen früh vorbei. Ich kann dich ablösen, dir etwas einkaufen, und wenn es ganz schlimm kommt, den Arzt vom Festland holen. Die Mädchen lass heute bei uns schlafen. Womöglich ist die Krankheit ansteckend.«
    Keike packte den Mädchen ein Bündel und brachte Stine mit den Töchtern zur Tür. Sie fühlte, wie ihr Herz zerriss. Sie wollte zu Andreas fliegen, ihn in ihre Arme nehmen. Doch sie sah die schwarze Insel vor sich, mit der sie unterging.
    »Halsen. So halst doch!«, schrie der Schwiegervater. »Pullt. Pullt … Waaasser!«
     
    H
     
    Andreas Hartmann stand mit Lorenzen am Fähranleger.
    Der Kapitän knuffte seinen Arm. »Ich sag dir, Jensen hat das Feuer selbst gelegt. Ha, ein guter Zeitpunkt. Keiner wird ihn verdächtigen.« Der Kapitän zog seine kleine weiße Tonpfeife aus der rechten Jackentasche, sie war bereits gestopft. Er klemmte sie zwischen die Lippen, griff in die linke Tasche, fischte nach einer Schachtel mit Schwefelhölzern, formte seine Hände zum Ball. Das Zündholz zischte. Er hielt es windgeschützt an den Tabak. Das Kraut glomm auf. »Ich sage dir, er war’s. Er denkt jetzt, dass er sein neues Pastorat kriegt. Aber ich werde ihm einen Strich durch die Rechnung machen.«
    Ein hämisches Lachen. Die Pfeife rauchte. »Ich hatte schon vor dem Brand ein Gesuch aufgesetzt. Ich habe bereits achtundfünfzig Unterschriften gegen Jensen gesammelt. Ich werde es an das Königliche Kirchenvisitatorium schicken, damit sie ihn versetzen. Außerdem hat er den Kirchenältesten Gerrit Nickels entlassen, obwohl er nicht das Recht dazu hatte. Das wird ihn köpfen. Und dann sind wir ihn endlich los.
    Oder meinst du, man könnte es dem König persönlich übergeben? Würdest du das für mich tun? Du wirst doch sicher mit ihm

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