Die Insel des Dr. Moreau
Schlüssel und die Tatsache, daß er alles sorgfältig abschloß, obwohl er es ständig überwachen konnte, wirkten eigentümlich.
Ich folgte ihm und betrat ein kleines, einfach, aber nicht unbehaglich eingerichtetes Zimmer, dessen innere Tür, die leicht angelehnt war, auf einen gepflasterten Hof führte. Diese innere Tür schloß Montgomery sofort. Eine Hängematte hing im dunkleren Winkel des Zimmers, und ein kleines vergittertes Fenster ohne Glas öffnete sich zum Meer hinunter.
Dies, sagte mir der Weißhaarige, sollte mein Zimmer sein, und die innere Tür, die er, wie er sagte, »aus Furcht vor Unfällen« von der anderen Seite verschließen werde, sei meine Grenze zum Innenhof. Er machte mich auf einen bequemen Schiffsstuhl vor dem Fenster aufmerksam und auf eine Reihe von Büchern - hauptsächlich, wie ich sah, chirurgische Werke und Ausgaben der griechischen und lateinischen Klassiker, die ich nicht ohne Schwierigkeiten lesen kann - auf einem Bücherbrett bei der Hängematte. Er verließ das Zimmer durch die äußere Tür, als wolle er vermeiden, die innere noch einmal zu öffnen.
»Wir nehmen hier in der Regel unsere Mahlzeiten ein«, sagte Montgomery, und dann ging er dem anderen nach. »Moreau«, hörte ich ihn rufen, achtete aber wohl im ersten Moment nicht darauf. Als ich dann die Bücher von dem Brett in die Hand nahm, kam es mir plötzlich zu Bewußtsein: Wo hatte ich den Namen Moreau schon gehört?
Ich setzte mich vor das Fenster, nahm die Zwiebackschnitten heraus, die mir noch blieben, und aß sie mit ausgezeichnetem Appetit. »Moreau?«
Durchs Fenster sah ich einen dieser merkwürdigen Leute in Weiß eine Kiste den Strand entlangziehen. Dann verbarg ihn der Fensterrahmen. Hinter mir hörte ich bald darauf, wie jemand einen Schlüssel ins Schloß steckte und drehte. Nach einer weiteren kleinen Weile hörte ich durch die verschlossene Tür den Lärm der Hetzhunde, die vom Strand heraufgebracht worden waren. Sie bellten nicht, aber sie schnüffelten und knurrten sonderbar. Ich konnte das rasche Trippeln ihrer Füße hören und Montgomery, der sie beruhigte.
Die strikte Geheimhaltung, mit der diese beiden Männer das Gebäude umgaben, machte mir tiefen Eindruck, und eine Zeitlang dachte ich darüber und über die mir unerklärliche Vertrautheit des Namens Moreau nach. Aber launisch, wie das menschliche Gedächtnis ist, konnte ich diesen wohlbekannten Namen nicht in seinen rechten Zusammenhang einfügen. Meine Gedanken wanderten zu der undefinierbaren Wunderlichkeit des ungestalten und weißbandagierten Mannes am Strande. Ich hatte noch nie einen solchen Gang, so sonderbare Bewegungen gesehen. Ich entsann mich, daß keiner von diesen Leuten mit mir gesprochen hatte, obgleich ich die meisten dabei ertappt hatte, wie sie mich von Zeit zu Zeit merkwürdig verstohlen anblickten, ganz anders als die unverdorbenen Wilden, die einen offenen Blick haben. Ich fragte mich, welche Sprache sie redeten. Sie hatten alle einen außerordentlich schweigsamen Eindruck gemacht, und wenn sie sprachen, klangen ihre Stimmen unsicher. Was war mit ihnen nicht in Ordnung? Dann fielen mir wieder die Augen von Montgomerys häßlichem Diener ein.
Gerade als ich an ihn dachte, kam er herein. Er war jetzt in Weiß gekleidet und trug ein kleines Teebrett mit etwas Kaffee und gekochtem Gemüse darauf. Ich konnte kaum einen Schauder des Widerwillens unterdrücken, als er sich liebenswürdig verbeugte und das Teebrett vor mir auf den Tisch stellte.
Dann war ich plötzlich starr vor Staunen. Unter dem strähnigen schwarzen Haar lugten spitze Ohren hervor, die mit feinem braunem Pelz bedeckt waren!
»Ihr Frühstück, Häer«, sagte er. Ich starrte ihm sprachlos ins Gesicht. Er drehte sich um und ging zur Tür, während er mich sonderbar über die Schulter hinweg ansah.
Ich folgte ihm mit den Augen, und dabei stieg mir durch eine Schliche unbewußter Gehirntätigkeit die Wortfolge in den Kopf: »Die Moreau - Gräber ...« Wie? »Die Moreau -?« Ah, mein Gedächtnis schweifte um zehn Jahre zurück. Die »Moreau-Greuel«. Die Worte trieben einen Moment zusammenhanglos in meinem Geist, und dann sah ich sie in roten Lettern auf einer lederfarbenen Broschüre, deren Lektüre einst so manchem Schauder über den Rücken gejagt hatte. Und dann fiel mir alles wieder ein. Die längst vergessene Broschüre trat mir mit erschreckender Lebhaftigkeit vor den Geist. Ich war noch ein Junge gewesen damals, und Moreau, glaube ich, etwa fünfzig;
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