Die Insel des Dr. Moreau
versuchten sie zu rufen. Sie konnten uns nicht hören, und als sich am anderen Tage der Sprühnebel aufklärte - was erst nach Mittag geschah -, war nichts mehr von ihnen zu sehen. Wegen des Schaukelns des Bootes war es uns nicht möglich aufzustehen, um uns umzublicken. Die See ging in hohen Wogen, und nur mit Mühe gelang es uns, ihnen die Spitze des Boots entgegenzuhalten. Die zwei anderen Leute, die sich mit mir zusammen gerettet hatten, waren ein Mann namens Helmar, wie ich ein Passagier, und ein Matrose, dessen Namen ich nicht mehr weiß, ein kurzer, stämmiger Mann, der stotterte.
Wir trieben hungernd und, nachdem uns das Wasser ausgegangen war, von einem unerträglichen Durst gequält, acht Tage lang umher. Nach dem zweiten Tage legte sich die See zu glasiger Ruhe. Der Leser kann sich diese acht Tage wohl kaum vorstellen. Nach dem ersten Tage sprachen wir nur noch wenig miteinander; wir lagen auf unseren Plätzen im Boot und starrten auf den Horizont oder beobachteten mit Augen, die von Tag zu Tag weiter und hohler wurden, das Elend und die Schwäche, die unsere Gefährten überwältigten. Die Sonne war erbarmungslos. Das Wasser ging am vierten Tag aus, und uns kamen schon die schlimmsten Gedanken; aber ich glaube, erst am sechsten gab Helmar dem Ausdruck, woran wir alle drei dachten. Unsere Stimmen waren so trocken und dünn, daß wir uns zueinander hinneigten und mit den Worten sparsam umgingen. Ich widersetzte mich mit aller Macht; mir wäre es lieber gewesen, wir hätten das Boot angebohrt und wären zusammen unter den Haien umgekommen, die uns folgten. Aber als Helmar sagte, wenn man seinem Vorschlag folge, hätten wir zu trinken, schloß der Matrose sich ihm an.
Ich wollte aber kein Los ziehen, und nachts flüsterte der Matrose immer wieder mit Helmar, und ich saß im Bug, mein Klappmesser in der Hand - freilich zweifle ich, ob ich das Zeug zum Kampf in mir gehabt hätte. Am Morgen stimmte ich Helmars Vorschlag zu, und wir warfen einen Groschen, um den Überzähligen zu finden.
Das Los fiel auf den Matrosen, aber er war der Stärkste von uns und wollte sich nicht fügen; er griff Helmar an. Sie rangen miteinander und standen dabei auf. Ich kroch durchs Boot zu ihnen hin und wollte Helmar helfen, indem ich den Matrosen am Bein packte; aber der Matrose stolperte, weil das Boot so schwankte, und die beiden fielen auf den Rand und rollten zusammen über Bord. Sie sanken wie die Steine. Ich erinnere mich, daß ich darüber lachte und mich wunderte, warum ich lachte. Das Lachen packte mich wie etwas, das gar nicht zu mir gehörte, sondern von außen kam.
Ich lag, ich weiß nicht, wie lange, auf einer der Ruderbänke und dachte, wenn ich nur die Kraft hätte, wollte ich bis zur Besinnungslosigkeit Meerwasser trinken, um schnell zu sterben. Und während ich noch so dalag, sah ich ein Segel über den Horizont zu mir herankommen, aber ich betrachtete es völlig unbeteiligt, als handle es sich um ein Bild. Mein Geist muß sich in anderen Sphären bewegt haben, und doch besinne ich mich ganz deutlich auf alles, was geschah. Ich erinnere mich, wie mein Kopf mit den Wellen schwankte und wie der Horizont mit dem Segel darüber auf und nieder tanzte. Aber ich entsinne mich nicht minder deutlich, daß ich überzeugt war, ich sei tot, und daß ich dachte, welch bitterer Hohn es sei, daß diese Leute, die nur um so wenig zu spät kamen, mich nicht mehr lebendig vorfinden würden.
Eine endlose Zeit, so schien es mir, lag ich mit meinem Kopf auf der Ruderbank und beobachtete den tanzenden Schoner - es war ein kleines Schiff, vorn und hinten wie ein Schoner getakelt -, der aus dem Meer herankam. Er lavierte in immer weiteren Bogen hin und her, denn er segelte hart am Wind. Es fiel mir keinen Augenblick ein, die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, und ich erinnere mich an nichts mehr deutlich, bis ich mich in einer kleinen Kabine wiederfand. Ich habe eine dunkle Erinnerung, daß ich das Fallreep hinaufgehoben wurde und ein großes, rotes Gesicht sah, das mit Sommersprossen bedeckt und von rotem Haar umgeben war und mich von der Reling her anstarrte. Ich hatte auch den zusammenhanglosen Eindruck, ein dunkles Gesicht mit merkwürdigen Augen zu erkennen, die mir ganz nahe waren; aber das hielt ich für einen Alp, bis ich es wiedersah. Ich entsinne mich ferner, daß mir irgend etwas eingeflößt wurde. Und das ist alles.
2
Der Mann,
der nirgendwohin fuhr
Die Kabine, in der ich mich befand, war klein und ziemlich
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