Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel des Dr. Moreau

Die Insel des Dr. Moreau

Titel: Die Insel des Dr. Moreau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. G. Wells
Vom Netzwerk:
Gespräch mit ihm in verdrießlichem Schweigen da. Es fiel mir auch auf, daß die Mannschaft meinen Gefährten und seine Tiere merkwürdig unfreundlich ansah. Montgomery sagte nicht, was er mit diesen Geschöpfen vorhatte und wo sein Ziel lag, und obgleich meine Neugier wuchs, drängte ich ihn nicht. Wir blieben auf dem Hinterdeck und unterhielten uns, bis der Himmel mit Sternen dicht besät war. Abgesehen von einem gelegentlichen Geräusch am gelberleuchteten Vorderdeck und hin und wieder einer Bewegung der Tiere war die Nacht sehr still. Der Puma lag zusammengekauert und beobachtete uns mit leuchtenden Augen: ein dunkler Haufen im Winkel seines Käfigs. Die Hunde schienen zu schlafen. Montgomery zog ein paar Zigarren hervor.
    Er sprach in einem Ton halb schmerzlicher Erinnerung mit mir von London und stellte allerlei Fragen über Veränderungen, die eingetreten waren. Er sprach wie ein Mann, der sein Leben dort geliebt hatte und plötzlich und unwiderruflich davon losgerissen worden war. Ich plauderte, so gut ich konnte, über dieses und jenes. Immer deutlicher wurde mir bewußt, wie seltsam er war, und während ich mit ihm sprach, blickte ich ihm beim schwachen Licht der Kompaßlaterne hinter mir in das merkwürdige bleiche Gesicht. Dann sah ich aufs dunkle Meer hinaus, wo seine kleine Insel in der Finsternis verborgen lag.
    Dieser Mann, so schien mir, war eigens aus der Unendlichkeit gekommen, um mir das Leben zu retten. Morgen sollte er von Bord gehen und wieder aus meinem Dasein verschwinden. Selbst unter alltäglichen Umständen hätte mich das ein wenig nachdenklich gestimmt. Aber es war allein schon so sonderbar, daß ein gebildeter Mann auf dieser unbekannten kleinen Insel wohnte, und dazu kam die merkwürdige Fracht. Ich ertappte mich dabei, wie ich die Frage des Kapitäns wiederholte: Was wollte er mit den Tieren? Und warum hatte er getan, als gehörten sie nicht ihm, als ich erstmals von ihnen sprach? Und dann hatte auch sein Diener etwas Bizarres an sich, das mir tiefen Eindruck gemacht hatte. Diese Umstände umgaben den Mann mit einer Aura des Geheimnisvollen. Sie nahmen meine Phantasie gefangen und lähmten mir die Zunge.
    Gegen Mitternacht erstarb unser Gespräch über London, und wir standen Seite an Seite und lehnten uns über die Reling und starrten verträumt über die schweigende, sternenbeleuchtete See, und jeder folgte seinen eigenen Gedanken. Es war die geeignete Atmosphäre zur Äußerung von Gefühlen, und ich brachte meine Dankbarkeit zum Ausdruck.
    »Wenn ich es sagen darf«, sagte ich nach einer Weile, »Sie haben mir das Leben gerettet.«
    »Zufall«, sagte er, »nichts als Zufall.«
    »Ich danke lieber dem greifbaren Werkzeug des Zufalls.«
    »Danken Sie niemandem. Sie waren in Not, und ich hatte das Wissen, und ich habe Ihnen Injektionen gemacht und Sie gefüttert. Mir war langweilig, und ich wollte etwas zu tun haben. Wenn ich an dem Tag etwa abgehetzt gewesen wäre, oder mir hätte Ihr Gesicht nicht gefallen, tja - es ist eine interessante Frage, wo Sie da jetzt wohl wären.«
    Das dämpfte meine Stimmung ein wenig. »Auf jeden Fall -« begann ich.
    »Es ist Zufall, sage ich Ihnen«, unterbrach er mich, »wie alles im Leben. Nur die Esel wollen das nicht einsehen. Warum bin ich jetzt hier - von der Zivilisation ausgestoßen -, statt ein glücklicher Mann zu sein und alle Freuden Londons zu genießen? Einfach, weil ich - vor elf Jahren - in einer Nebelnacht für zehn Minuten den Kopf verloren hatte.« Er hielt inne.
    »Ja?« sagte ich.
    »Das ist alles.«
    Wir versanken wieder in Schweigen. Dann lachte er. »Dieses Sternenlicht hat etwas, was einem die Zunge löst. Ich bin ein Esel, und doch hätte ich gute Lust, es Ihnen zu erzählen.«
    »Was Sie mir auch erzählen, Sie können sich drauf verlassen, daß ich’s für mich behalte ... Wenn Sie das meinen.«
    Er setzte schon an, dann aber schüttelte er zweifelnd den Kopf. »Lassen Sie’s«, sagte ich. »Mir ist’s einerlei. Schließlich ist es besser, Sie behalten Ihr Geheimnis. Sie gewinnen nichts außer ein wenig Erleichterung, wenn ich Ihr Geheimnis achte. Wenn nicht ... was dann?«
    Er brummte unentschieden. Ich spürte, daß ich ihn an einer schwachen Stelle, in einer redseligen Stimmung gepackt hatte; aber, um die Wahrheit zu sagen, ich war nicht neugierig, zu erfahren, was einen jungen Studenten der Medizin aus London vertrieben haben konnte. Ich habe Phantasie. Ich zuckte die Schultern und wandte mich ab. Am Backbord

Weitere Kostenlose Bücher