Die Insel - Roman
die Stirn und legte ihr einen Arm um die Schulter. »Ist ja schon gut, Kleines«, sagte sie leise.
»Wir nehmen an, dass er im Dschungel getötet wurde, wo wir ihn gefunden haben«, fuhr Andrew fort. »Jemand hat ihm den Schädel eingeschlagen und ihn dann in einen Baum hinaufgezogen. So haben wir es uns jedenfalls zusammengereimt.« Er sah mich an.
»Möglicherweise war es ein Einzeltäter«, fügte ich hinzu. »Und er ist gemein und hinterhältig vorgegangen.«
»Es muss jemand gewesen sein, der stark genug ist, um den toten Keith in den Baum hinaufzuziehen«, sagte Andrew.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Billie.
»Das weiß ich noch nicht genau. Ich brauche Zeit, um mir etwas zu überlegen. Lasst uns später Kriegsrat halten. Fürs Erste sind wir wohl auf der sicheren Seite, wenn wir alle zusammenbleiben. Ich denke nicht, dass der Mörder uns hier am Strand nachstellt, wo jeder ihn sehen kann.«
»Und wenn wir … auf die Toilette müssen?«, fragte Billie. »Das können wir doch nicht hier am Strand machen, oder?«
Connie pflichtete ihr bei. »Also ich kann das auf keinen Fall. Kommt nicht in Frage.«
»Wir werden uns etwas einfallen lassen«, sagte Andrew. »Bis dahin gehen wir dorthin, wo wir bisher hingegangen sind. Aber nicht allein. Wenn ihr müsst, sagt es mir. Ich begleite euch dann.«
»Na, da bin ich aber froh«, sagte Connie sarkastisch.
»Hab dich nicht so, Kleine. Ich habe dir schließlich schon die Windeln gewechselt. Aber mach dir keine Sorgen, ich werde schon wegschauen.«
»Das ist echt doof«, maulte Connie.
Auf einmal platzte Andrew der Kragen. »Jetzt hör mir mal zu. Deinen beiden Schwestern ist innerhalb von nicht einmal vierundzwanzig Stunden das Leben kaputt gemacht worden, und irgendwo auf dieser Insel treibt sich ein durchgedrehtes Arschloch herum, das vermutlich noch jemanden töten wird, wenn wir ihm die Gelegenheit dazu geben. Also verschone mich bitteschön mit deinem pubertären Schwachsinn, okay? Wir wissen , wie schrecklich das alles für dich ist, aber …«
»Lass mich in Ruhe!«, schrie Connie ihn an und rannte laut weinend hinunter zum Wasser.
Thelma war bei Andrews Bemerkung über ihr kaputtes Leben auf die Knie gesunken und schluchzte hinter vors Gesicht gehaltenen Händen gottserbärmlich.
Billie warf Andrew einen verärgerten Blick zu und schüttelte den Kopf. »Das war nun wirklich nicht nötig, kapierst du das nicht?« Ohne auf seine Antwort zu warten, eilte sie Connie hinterher.
Ich war als Einziger verblieben, an den Andrew sich noch wenden konnte. Es kam mir so vor, als würde er mich hinter seiner Sonnenbrille böse anstarren.
» Ich habe nichts getan«, sagte ich.
»Spiel hier nicht den Klugscheißer«, brummte Andrew und stapfte nun seinerseits von dannen.
Jetzt, wo ich allein war, holte ich mir meinen Rucksack und ging hinüber zu meiner Felsspitze (was wohl gegen die neue Regel verstieß, dass keiner von uns alleine irgendwo hingehen durfte, aber niemand kümmerte sich drum). Es gab eine Menge ins Tagebuch nachzutragen. Allerdings suchte ich mir einen Platz, von dem aus ich unseren Teil des Strands überblicken konnte.
Als ich ankam, war Kimberly auf der anderen Seite der Bucht noch immer damit beschäftigt, den Leichnam ihres Mannes vorsichtig mit Steinen zu bedecken. Nach einer Weile war sie damit fertig und machte sich daran, aus sorgfältig ausgesuchtem Treibholz das Kreuz zu bauen. (Während ich schreibe, beobachte ich sie. Die anderen sind auch am Strand, aber sie tun nichts, was es wert wäre, aufzuschreiben.)
Jetzt sitzt Kimberly schon eine ganze Weile im Sand. Sie trägt noch immer Keiths buntes Hawaiihemd. Die Knie hat sie nahe ans Gesicht gezogen und die Arme um die Unterschenkel geschlungen. Es sieht so aus, als würde sie hinaus
aufs Meer starren. Der Wind spielt in ihren Haaren und lässt das Hemd an ihrem Rücken ein wenig flattern.
Sie ist so schön und so allein.
Ich wünschte, ich könnte ihr irgendwie helfen, damit es ihr wieder besser geht.
Das Wichtigste ist jetzt, dafür zu sorgen, dass der Mörder nicht noch mehr von uns erwischt.
Kriegsrat
Wir aßen früh zu Abend. Wieder kochte Billie. Es war eine Mischung aus Nudeln und Rindfleisch aus den Folienpäckchen, die Andrew und Keith gestern aus der Bucht gefischt hatten. Außerdem aßen wir ein paar Pfirsiche aus der Dose und Brot von einem Laib, dessen Zellophanverpackung die Explosion unbeschadet überstanden hatte. Zu Trinken gab es Wasser aus dem Bach, das
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