Die Insel - Roman
blieb.
Ich klammerte mich zitternd an den Baumstamm und konnte mich eine ganze Weile lang nicht bewegen.
Es dauerte nicht lange, da rief mir Andrew zu, ich solle mich gefälligst zusammenreißen und herunterklettern - und das Seil mitbringen.
Um das zu tun, musste ich hinaus auf den unteren Ast klettern, an dem es festgebunden war. Meine Hände zitterten so stark, dass ich den Knoten nicht lösen konnte und das Seil durchschneiden musste. Ich ließ es fallen und kletterte nach unten.
Als ich Andrew sein Messer zurückgab, hatte er das Seil schon aufgehoben und zusammengerollt.
»Was machen wir mit ihm?« fragte ich.
»Kimberly will ihn bestimmt sehen«, antwortete er und gab mir das Seil. Dann ging er neben dem Leichnam in die Hocke und löste die Schlinge von seinem Hals. »Das können wir ihr nicht abschlagen, denn wenn sie ihn nicht sieht, glaubt sie uns niemals, dass er tot ist.«
Andrew packte den Toten an den Füßen und zerrte so lange an ihm, bis er ausgestreckt auf dem Boden lag.
»Wo ist bloß seine verdammte Badehose?«
»Die muss der Mörder mitgenommen haben.«
»Sieh nach, ob du sie findest.«
Ich sah mich um, aber ich konnte weder Keiths Badehose noch seine Sandalen noch sonst irgendetwas von ihm finden.
»Willst du ihm nicht deine anziehen?«, fragte Andrew.
»Soll das ein Witz sein? Was soll ich denn ohne Badehose machen? Wieso geben Sie ihm nicht Ihre?«
Er grinste mich schief an. »Dann lauf zurück zum Strand und hol ein Badetuch … eine Decke … irgendwas.«
»Können wir ihn nicht mit Blättern zudecken?«
»Tu, was ich sage.«
Und das tat ich auch, obwohl ich genau wusste, dass es ein Fehler war.
Als ich aus dem Dschungel kam, stieg Kimberly gerade aus dem Wasser. Sie ging den Strand hinauf zu Billie und Thelma, aber als sie mich bemerkte, rannte sie sofort auf mich zu.
Vielleicht hätte ich vor ihr davonlaufen sollen, aber ich konnte es einfach nicht.
»Ihr habt ihn gefunden«, sagte sie. Sie musste es mir am Gesicht angesehen haben. »Oh Gott! Wo ist er?«
»Dein Dad ist bei ihm. Er will nicht …«
»Er ist tot, nicht wahr?«
»Deinem Dad geht es gut.«
»Ich meine Keith.«
Noch bevor ich mir eine gute Antwort überlegen konnte, war sie an mir vorbei in den Dschungel gerannt.
»Kimberly, nicht!«, rief ich hinter ihr her. »Warte auf mich!«
Sie blieb nicht stehen, und sie hatte schon zu viel Vorsprung, als dass ich sie hätte einholen können. Und selbst wenn es mir gelungen wäre, hätte ich sie anspringen und zu Boden reißen sollen?
Andrew hätte mich nicht zum Strand zurückschicken dürfen. Ich hatte es ihm gesagt, aber er hatte darauf bestanden.
Nun gut, ich hatte einen Auftrag zu erledigen. Aber ich ließ mir Zeit damit. Ich ging langsam zu unserem Lager, nahm eine Decke und beantwortete ein paar Fragen von Thelma, Connie und Billie, bevor ich mich wieder auf den Weg in den Dschungel machte.
Als ich bei dem Baum ankam, lag Kimberly weinend in den Armen ihres Vaters.
Er trug nur seine weiße Unterhose.
Offenbar hatte er sie kommen hören, rasch seine Shorts ausgezogen und damit Keiths Blöße bedeckt. Über das Gesicht des Toten hatte er sein weißes Taschentuch gelegt.
Während er tröstend auf Kimberly einsprach, trat ich an den Leichnam heran und breitete die Decke über ihn. Dann griff ich darunter und zog Andrews Shorts und das Taschentuch hervor. Ich trat einen Schritt zurück und sah schweigend zu, wie Kimberly an der Schulter ihres Vaters leise vor sich hinschluchzte.
Das Begräbnis
Nachdem Kimberly sich in Andrews Armen ausgeweint hatte, bestand sie darauf, sich Keiths Leiche näher anzusehen. (Was all unsere Bemühungen, die Leiche zu bedecken, ad absurdum führte). Andrew versuchte, sie davon abzuhalten, aber Kimberly hörte nicht auf ihn und zog die Decke weg, bevor sie neben der Leiche in die Hocke ging.
Sie sah den Toten lange an, bevor sie seinen Kopf in beide Hände nahm und ihn von einer Seite auf die andere drehte und mit den Fingern die Kopfhaut abtastete. Vermutlich wollte sie feststellen, was ihn getötet hatte. Dabei sagte sie kein einziges Wort. Sie weinte nicht mehr, aber die Verbitterung war ihr ins Gesicht geschrieben. Schließlich knöpfte sie Keith das Hemd auf und bat uns, ihn in eine sitzende Position zu bringen. Nachdem sie ihm das Hemd ausgezogen hatte, schlüpfte sie selbst hinein, ließ die Knöpfe aber offen.
Dann wickelten wir alle drei zusammen Keith in die Decke. Andrew band das Seil darum, bis wir ein
Weitere Kostenlose Bücher