Die Insel - Roman
meiner jahrzehntelangen Erfahrung mit schlechten Fernsehkrimis gelernt: Ein Mensch ist erst dann wirklich tot, wenn seine Leiche gefunden und eindeutig identifiziert wurde«, sagte Billie. »Und wenn einer lebt, obwohl die anderen glauben, dass er tot ist, führt er meistens nichts Gutes im Schilde.«
»Das ist mir auch schon aufgefallen«, sagte ich. »Aber das Fernsehen ist nicht die Wirklichkeit. Irgendwie käme mir das schon so vor wie in einem alten Krimi von Agatha Christie, wenn Wesley wirklich noch am Leben wäre. Oder war das eine Sherlock-Holmes-Geschichte, in der ein vermeintlich Toter der Bösewicht ist?«
Billie runzelte die Stirn. »Keine Ahnung, Rupert. Aber was denkst du wirklich? Ist es nun Wesley, oder ist er es nicht?«
»Er könnte es sein.«
Billie gab mir einen spielerischen Klaps auf den Unterarm. »Jetzt sei nicht so schwierig.«
»Tut mir Leid.«
»Worauf ich hinaus will … sollen wir nun den anderen unseren Verdacht mitteilen oder nicht?«
»Ich bin dafür.«
»Gut. Ich auch.«
»Aber vielleicht sollten wir es doch vor allen ansprechen«, sagte ich. »Inklusive Thelma. Denn was passiert, wenn er wirklich der Mörder ist und sie ihm zufällig in die Arme läuft?«
»Du hast Recht«, sagte Billie. »Es ist besser, wenn wir alle informieren.«
Nachdem das geklärt war, nahmen wir das Geschirr und gingen zurück zu den anderen. Eigentlich wollte ich mein Tagebuch nachtragen, aber bevor ich damit anfangen konnte, rief Andrew uns alle zu einer Besprechung zusammen.
Wir setzten uns um das Feuer.
Alle sahen traurig und bedrückt aus bis auf Connie, die mich über das Feuer hinweg böse anfunkelte. Bestimmt ärgerte sie sich darüber, dass ich mit ihrer Mutter hinter der Felsspitze verschwunden war. So, wie sie drauf war, glaubte sie am Ende sogar, dass wir dort etwas miteinander hatten.
»Es gibt einiges, was wir bezüglich unserer Situation hier besprechen müssen«, begann Andrew. »Außerdem haben wir einige wichtige Entscheidungen zu treffen. Gestern noch war unsere einzige Sorge, dass wir so schnell wie möglich von hier gerettet werden. Seit heute Morgen ist alles anders. Keith wurde ermordet und wir müssen …«
Thelma hob die Hand wie eine Schülerin.
Andrew nickte ihr zu.
»Ich habe nachgedacht«, sagte sie. »Über den Mord an Keith und … über Wesley.« Ihr Kinn bebte. Sie presste die Lippen fest aufeinander. Es dauerte ein paar Sekunden, bis
sie fortfahren konnte. »Findet ihr es nicht auch seltsam, dass Keith schon in der ersten Nacht hier ermordet wurde? Gestern erst ist das Boot explodiert und Wesley ist dabei … na ja, ihr wisst schon. Was ich damit sagen will: Bisher habt ihr geglaubt, dass das mit dem Boot ein Unfall war. Was aber, wenn das nicht stimmt? Darüber habe ich die ganze Zeit nachgedacht. Vielleicht ist ja auch Wesley ermordet worden und nicht nur Keith? Ist doch gut möglich, dass jemand das Boot absichtlich in die Luft gejagt hat. Vielleicht wollten sie, dass wir hier auf dieser Insel stranden, wo sie uns einen nach dem anderen ausschalten können. Oder vielleicht auch nur die Männer - wer weiß?«
»Wenn das der Fall ist, dann haben sie es schon zur Hälfte geschafft«, sagte Kimberly.
Irgendwie fand ich den Gedanken, dass ich zu der noch auszuschaltenden Hälfte gehörte, nicht allzu anregend.
»Wen meint ihr eigentlich mit ›sie‹?«, fragte Andrew. »Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wer das sein soll.« Irgendwie wirkte er verärgert.
»Diejenigen, die hinter dieser ganzen Sache stecken«, sagte Thelma.
»Dann glaubst du also, dass wir die Opfer einer Verschwörung sind?«
Thelma schob die Unterlippe vor. »Wieso bist du dir nur so verdammt sicher , dass Wesley Mist gebaut hat?«
»Wenn er nicht das Boot aus Versehen in die Luft gejagt hat, wieso ist es dann überhaupt explodiert?«
»Keine Ahnung«, erwiderte Thelma. »Da gibt es viele Möglichkeiten. Vielleicht wurde es von einer Rakete getroffen. Oder jemand ist im Taucheranzug hingeschwommen
und hat außen am Rumpf eine Bombe befestigt. So was ist schon vorgekommen.«
»Aber wer sollte das tun?«, fragte Andrew.
»Drogendealer? Vielleicht haben sie auf dieser Insel ein geheimes Depot und wollen nicht, dass jemand es findet? Oder vielleicht gibt es auch eine geheime Militärbasis auf dieser Insel.«
»Die Insel des Dr. No«, sagte ich.
Niemand lachte. Nicht einmal Billie, die bei meinen Worten zusammengezuckt war.
»Lass gefälligst deine blöden Witze«,
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