Die Insel - Roman
war gut, dass sie da war. Für Connie, Alice und Erin hatte ich mich seit Wesleys Hinrichtung offenbar in einen Aussätzigen verwandelt. Aber das machte mir nichts aus. Zu diesem Zeitpunkt fühlte ich fast überhaupt nichts.
Wir sprachen nicht über Kimberly.
Vielleicht taten das manche von uns, wenn sie allein waren. Zumindest die, die sie geliebt haben.
Und das waren, wenn man es genau nahm, ohnehin nur Billie und ich.
Ich überlegte, ob ich »Danny Boy« für sie singen sollte, aber ich konnte es nicht. Vielleicht später einmal.
Nachdem ich die Werkzeuge sauber gemacht hatte, ging ich ins Haus und gönnte mir eine lange, heiße Dusche. Und danach blieb ich im Haus. Ich nahm das Schweizer Messer an mich und suchte mir ein gutes Schlafzimmer. Ich entschied mich für das von Erin im ersten Stock und ließ mich auf ihr Bett fallen.
Mit dem glatten Plastikgriff des Messers strich ich mir über die Wangen und dachte an Kimberly. Kurz darauf fing ich zu weinen an. Ich heulte wie ein Schlosshund, so lang und so intensiv wie niemals zuvor in meinem Leben. Als ich vollkommen erschöpft war, schlief ich irgendwann ein.
Ich träumte von Kimberly, wie sie einen Strand entlanglief. Es war der Strand unserer Bucht. Kimberly lief lächelnd auf mich zu. Sie trug ihren weißen Bikini und das bunte Hawaiihemd ihres verstorbenen Mannes. Wie üblich war es nicht zugeknöpft und wehte beim Laufen ebenso wie ihre langen, schwarzen Haare im Wind. Sie war braungebrannt und schlank und umwerfend. Ich traute meinen Augen kaum. Ihr Tod musste ein Irrtum gewesen sein. Vielleicht hatte ich nur geträumt, dass Wesley sie umgebracht hatte.
Sie warf sich in meine Arme, drückte mich sanft und küsste mich auf den Mund.
Nach dem Kuss murmelte ich: »Ich dachte, du wärst tot.«
»Du denkst zu viel, Rupert.«
»Dann bist du also nicht tot?«
Kimberly lächelte ihr herrliches Lächeln. »Natürlich nicht. Sehe ich etwa so aus? Oder fühle ich mich tot an?«
Nein, sie fühlte sich nicht tot an. Sie fühlte sich wunderbar lebendig an und sah auch so aus. Ich schüttelte den Kopf und fing im Traum an zu weinen. Sie küsste mir die Tränen von den Augen und flüsterte: »Liebst du mich?«
»Ja.«
»Willst du mich heiraten, Rupert?«
»Ja!«, stieß ich hervor. »Ja!« Aber dann fiel mir ein, dass ich sie nicht heiraten konnte, auch wenn ich es mir noch so sehr wünschte.
Sie bemerkte die Veränderung in mir. »Was ist denn los?«, fragte sie.
»Ich kann dich nicht heiraten, weil ich Billie liebe. Ich liebe euch alle beide.«
Kimberly lächelte mich strahlend an. »Dann heirate uns doch beide«, schlug sie vor. »Wieso denn nicht? Du bist der König der Insel und kannst tun, was immer du willst.«
»Na schön. Dann machen wir das so.«
»Meinst du nicht, dass du Billie vorher fragen solltest?«
»Ja, stimmt. Gute Idee.«
»Ich komme wieder«, sagte Kimberly. Dann küsste sie mich, drehte sich um und rannte den Strand entlang fort von mir.
»Bleib hier!«, rief ich. »Geh nicht fort!«
Ich muss im Schlaf geschrien haben, denn ich glaube, dass es meine eigene Stimme war, die mich aufweckte.
Im Zimmer war es dunkel.
Ich schlich mich durch das Haus nach draußen. Dort lief ich quer über den Rasen und war traurig, dass mein Traum mich getäuscht hatte und Kimberly doch nicht am Leben war. Trotzdem fühlte ich mich nicht mehr so verzweifelt wie vorher. Wo immer auch ihre Seele hingegangen sein mochte, bei mir hatte sie ein Zuhause gefunden.
Ich würde Kimberly für immer in meinem Herzen behalten. Zusammen mit Billie.
Obwohl ich mich ihrem Käfig leise und unsichtbar in völliger Dunkelheit genähert hatte, berührte mich Billie sofort, als ich nach den Gitterstäben tastete. Sie führte meine Hände nach innen und umarmte mich. Die Eisenstangen drückten sich hart an unsere Körper, aber sie konnten uns nicht auseinander halten. Wir füllten den Raum zwischen ihnen mit warmem, nacktem Fleisch.
Es war, als hätte Billie auf mich gewartet, als hätte sie mich seit langer Zeit gebraucht.
Wir sagten nichts, aber wir umarmten uns und küssten uns leidenschaftlich. Es begann mit der feierlichen Vereinigung
zweier Überlebender, die sich nach einer langen und einsamen Wanderung gefunden haben. Wir empfanden Freude und Erleichterung und eine grenzenlose Trauer für alles, was wir verloren hatten.
Aber dann verwandelte sich unsere Zuneigung in das Verlangen zweier Liebender. Mit wild klopfenden Herzen erkundeten wir uns gegenseitig
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