Verflucht seist du: Kommissar Dühnforts fünfter Fall (German Edition)
1
Prüfend hielt Ricarda die Flasche gegen das Licht. Beinahe leer. Ein letzter Schluck floss ins Glas, bevor der Bocksbeutel kopfüber im Kühler landete. Ein leises Klirren. Sie fischte den Rest eines Eiswürfels aus dem Wasser, ließ ihn über Wange und Stirn gleiten, spürte kalte Nässe an ihrer Haut und fächelte sich mit der freien Hand Luft zu. Es war viel zu warm. Und sie war betrunken. Na und? Interessierte keinen.
Die Spaghettiträger des Tops rutschten über die Schultern und gewährten tiefen Einblick. Kritisch zog sie den Stoff von sich und musterte, was von ihrem Busen sichtbar war. Im warmen Schein des Windlichtes sah er ziemlich akzeptabel aus. Harald war allerdings anderer Meinung.
Eine wegwerfende Handbewegung, mit der sie um Haaresbreite das Glas vom Tisch fegte. Er war ein Spinner. Seinetwegen würde sie ihre Brüste nicht machen lassen. Über diese Entscheidung erfreut, schob sie die Träger zurecht. Bis Harald von seiner Geschäftsreise aus Madrid zurückkam, war das Thema vertagt.
Mit einem Zug leerte sie das Glas. Schon kurz nach elf. Den ganzen Abend hatte sie auf dem Balkon zwischen Kübelpflanzen, Teakholzmöbeln und orientalisch anmutendem Firlefanz verbracht und auf ein wenig Abkühlung gehofft. Doch zwischen den Häusern staute sich die Hitze des Tages. Kein Hauch rührte sich. Eine geschlossene Wolkendecke hing am Himmel wie eine Bleiplatte. Feiner Schweiß bedeckte ihre Haut. Sie vermisste den Geruch nach Sommer, nach Getreide und Heu, den der Wind an manchen Tagen von den Feldern und Wiesen herübertrug, die sich zwischen Unterhaching und der Stadtgrenze von München noch behaupteten.
Sie stand auf und lehnte sich ans Geländer. Ein Auto kam die Straße entlang, bog hundert Meter weiter links in den Kreisverkehr und verschwand in der Ausfahrt Richtung München. Eine Weile blickte sie den Lichtern nach, dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit der gegenüberliegenden Häuserzeile zu. Vier waagerechte Fensterreihen, teilweise von den Kronen der Kastanien verdeckt. In den Wohnungen dahinter war es inzwischen dunkel geworden. Was wohl genau in diesem Moment jenseits der Mauern geschah? Wilder Sex? Streit? Ein schnarchender Mann, eine schlaflose Frau, quengelnde Kinder? Ein einsamer Kerl, der sich einen runterholte? Ihr Blick wanderte weiter und blieb am Rohbau des Wohn- und Geschäftshauses hängen, das zwischen zwei Wohnblocks errichtet wurde. Dort glimmte im ersten Stock ein roter Punkt auf. Jemand stand da und rauchte. Wer wohl? Um diese Zeit. Und warum? Doch zum Denken war es zu schwül. Konnte ihr auch egal sein. Außerdem musste sie mal pullern. Schwankend ging sie hinein. Drei Zimmer. Maisonette. Dummerweise war das Bad oben. Sie schaffte es, ohne zu stolpern ihr Ziel zu erreichen, und erleichterte sich. Wein zu Wasser. Kichernd griff sie nach dem Toilettenpapier. Eine Weile blieb sie noch sitzen, zog den Slip hoch und den Rock herunter, starrte auf das Glasregal über Haralds Waschtisch und hoffte plötzlich inständig, er möge nie aus Madrid zurückkehren. Konnte sein Flugzeug nicht abstürzen?
Erschrocken schlug sie die Hand vor den Mund. Nein! Das war ungerecht. Das hatte er nicht verdient. Er war nur ein Blender und Angeber. Wie so viele. Darauf stand nicht die Todesstrafe. Vielleicht suchte er sich ja eine Jüngere, mit den richtigen Brüsten. Dann würde sich das Problem von alleine lösen.
Meine Güte, was dachte sie nur? Sicher lag es an der drückenden Schwüle und natürlich am Wein. Ihr Mund war trocken, die Zunge fühlte sich wattig an, ihre Kehle wie ausgedörrt. Vorsichtig ging sie die Treppe hinunter, hielt sich am Geländer fest und nahm, als sie heil die Küche erreichte, eine Flasche Volvic aus dem Kühlschrank. Mit dem Wasser kehrte sie auf den Balkon zurück. An Schlaf war bei diesem Wetter einfach nicht zu denken.
Im Rohbau gegenüber war es ruhig, das Glimmen der Zigarette erloschen. Der Raucher war gegangen. Sie trank Wasser und hing ihren Gedanken nach. Irgendwann schlug eine Kirchturmuhr Mitternacht. Noch immer kein Windhauch, kein Luftzug, als ob die Nacht den Atem anhielt.
Das Quietschen einer einfahrenden S-Bahn drang leise vom Bahnhof herüber. Aus der Wohnung nebenan hörte sie den Fernseher und von unten sicher gesetzte Schritte. Ricarda sah über die Brüstung. Ein junger Mann mit lockigen Haaren ging den Bürgersteig entlang, die Hände in den Taschen der Bermudashorts vergraben. Er trug Turnschuhe und kickte einen Stein weg. Vor dem Rohbau
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