Die irische Signora
den Frieden wiederherzustellen; etwa, daß sie doch auch das Badezimmer im Erdgeschoß benutzen könne. Aber heute hatte er nicht die Energie, den Vermittler zu spielen. Sollten die Mädchen doch streiten, solange sie wollten, er würde nicht eingreifen.
»Ihr seid beide erwachsen, regelt das unter euch«, erwiderte er. Dann zog er sich mit seinem Kaffee ins Eßzimmer zurück und schloß die Tür hinter sich.
Eine Zeitlang saß er reglos da und ließ den Blick umherschweifen. Dieses Zimmer schien all das zu verkörpern, was in seiner Familie nicht stimmte. An dieser großen schmucklosen Tafel versammelte man sich nie zu einem trauten Familienmahl. Und weder Freunde noch Verwandte saßen je in angeregtem Gespräch auf diesen dunklen Stühlen.
Wenn Grania und Brigid Besuch bekamen, brachten sie ihn in ihr Zimmer oder in die Küche, wo sie mit Nell plauderten und kicherten. Aidan blieb dann allein im Wohnzimmer und schaute sich irgendeine Fernsehsendung an, die ihn nicht interessierte. War es nicht doch besser, ein eigenes kleines Reich zu haben, in dem er seine Ruhe hatte?
In einem Antiquitätengeschäft hatte er einen wunderschönen Schreibtisch entdeckt – genaugenommen einen Sekretär mit einer herausklappbaren Schreibplatte, die förmlich zum Schreiben einlud. Und er wollte immer frische Blumen im Zimmer haben, weil ihn ihre Schönheit erfreute und es ihm auch nichts ausmachte, täglich das Wasser zu wechseln, was Nell immer so lästig fand.
Tagsüber herrschte hier ein angenehmes, etwas gedämpftes Licht, wie ihm erst jetzt auffiel. Vielleicht sollte er sich einen Sessel oder ein Sofa ans Fenster stellen und es mit schweren Vorhängen drapieren. Da konnte er dann sitzen und lesen und Freunde einladen. Oder wen auch immer. Denn von seiner Familie hatte er nichts mehr zu erwarten, das war ihm jetzt klargeworden. Damit mußte er sich abfinden, anstatt sich der falschen Hoffnung hinzugeben, daß sich doch noch etwas ändern würde.
An einer Wand würde er ein Bücherregal aufstellen, und seine Cassetten konnte er ebenfalls hier unterbringen, bis er sich einen CD -Spieler zugelegt hatte. Aber vielleicht würde er sich gar keinen CD -Spieler kaufen, denn nun mußte er ja nicht mehr mit Tony O’Brien konkurrieren. Die übrigen Wände würde er mit Bildern schmücken, mit Fresken aus Florenz oder diesen herrlichen Porträts von Leonardo da Vinci. In diesem Zimmer konnte er sich Arien anhören und Zeitschriftenartikel über die großen Opern lesen. Wenn schon Mr. Walsh der Meinung war, daß es für Aidan ein Leben außerhalb der Schule gebe, war es an der Zeit, endlich damit zu beginnen. Mit seinem alten Leben war es ein für allemal vorbei. Von nun an würde er nicht mehr mit der Schule verheiratet sein. Aidan saß da und wärmte sich die Hände an der Kaffeetasse. Dieses Zimmer brauchte eine anständige Heizung, doch darum konnte man sich später kümmern. Und zusätzliche Lampen waren nötig, denn das harte Deckenlicht warf zu wenig Schatten, es hatte nichts Anheimelndes.
Da klopfte es an der Tür. Seine blonde Tochter Grania trat ein, schick gekleidet für ihr Rendezvous. »Ist alles in Ordnung, Daddy?« fragte sie. »Brigid hat gemeint, du wärst irgendwie ein bißchen komisch. Du bist doch nicht krank, oder?«
»Nein, mir geht’s gut«, antwortete er. Aber seine Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen. Und wenn es für
ihn
schon so klang, dann erst recht für Grania. Also zwang er sich zu einem Lächeln. »Hast du heute abend etwas Schönes vor?« erkundigte er sich.
Grania stellte erleichtert fest, daß ihr Vater schon wieder fast der alte war. »Das weiß ich noch nicht, ich bin mit einem ganz tollen Mann verabredet. Aber davon erzähle ich dir lieber ein andermal.« Ihr Gesichtsausdruck war so sanft und freundlich wie schon lange nicht mehr.
»Warum nicht jetzt gleich?« schlug er vor.
Verlegen trat sie von einem Bein aufs andere. »Nein, das geht erst, wenn ich sicher bin, daß etwas daraus wird. Aber wenn es etwas zu erzählen gibt, wirst du es als erster erfahren.«
Aidan überkam eine unsägliche Traurigkeit. Dieses Mädchen, das er früher an der Hand gehalten hatte, das über seine Späße gelacht und geglaubt hatte, er sei allwissend … dieses Mädchen konnte es nun kaum erwarten, wegzukommen. »Das freut mich«, meinte er.
»Daddy, sitz doch nicht so einsam in diesem kalten Zimmer herum.«
Er wollte ihr sagen, daß es für ihn überall kalt und einsam war, aber statt dessen entgegnete
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