Der Frauenheld
1 Austin bog in die kleine Straße ein – die rue Sarrazin –, an deren Ende er auf eine größere Straße zu stoßen hoffte, eine, die er kannte, die rue de Vaugirard möglicherweise, der er dann nur noch folgen mußte bis zu Josephine Belliards Appartement am Jardin du Luxembourg. Er wollte auf Josephines Sohn Leo aufpassen, während Josephine zu ihrem Anwalt ging, um Schriftstücke für die Scheidung von ihrem Ehemann zu unterschreiben, und dann wollte er Josephine zu einem romantischen Abendessen ausführen. Ihr Ehemann Bernard schrieb billige Romane und hatte ein skandalöses Buch veröffentlicht, in dem sie vorkam; er hatte ihren Namen benutzt und ihre Untreue in allen schlüpfrigen Details enthüllt. Der Roman war gerade erschienen, und jeder, den sie kannte, las ihn.
»Es ist nicht schlimm, so ein Buch zu schreiben «, hatte Josephine am ersten Abend gesagt, als Austin sie – es war gerade eine Woche her – kennengelernt hatte und auch schon mit ihr essen gegangen war. »Das ist seine Sache. Ich bin Lektorin. Okay? Aber. So was zu veröffentlichen? Nein. Tut mir leid. Mein Mann – er ist ein Arschloch. Was soll ich machen? Ich sag ihm Lebewohl.«
Martin Austin war aus Chicago. Er war verheiratet, aber kinderlos, und arbeitete für einen alten Familienbetrieb, der teures, besonders behandeltes Papier an ausländische Lehrbuchverlage verkaufte. Er war vierundvierzig Jahre alt und arbeitete seit fünfzehn Jahren für denselben Betrieb, die Lilienthal Company aus Winnetka. Er hatte Josephine Belliard bei einer Cocktailparty im Intercontinental Hotel kennengelernt, einem Empfang, den ein Verlag, mit dem er geschäftlich zu tun hatte, für einen seiner wichtigen Autoren gab. Er war nur aus Höflichkeit eingeladen worden, denn das Papier seiner Firma war nicht für das Buch dieses Autors verwendet worden, ein soziologisches Werk, das die Einsamkeit der arabischen Einwanderer in den Vorstädten anhand von komplizierten Differentialgleichungen berechnete. Austins Französisch war mangelhaft – er hatte es schon immer viel besser sprechen als verstehen können –, und demzufolge hatte er allein am Rande des Empfangs gestanden und Champagner getrunken, freundlich in die Runde geschaut und gehofft, irgendwo Englisch zu hören und jemanden zu finden, mit dem er sprechen konnte, statt an jemanden zu geraten, der ihn vielleicht Französisch reden hörte und daraufhin ein Gespräch mit ihm anfing, dem er nicht folgen konnte.
Josephine Belliard war Lektorin des Verlages. Sie war eine kleine, schmale, dunkelhaarige Französin in den Dreißigern und von einer eigenartigen Schönheit – ihr Mund war ein wenig zu breit und zu dünn, ihr Kinn wenig ausgeprägt, beinahe fliehend, aber sie besaß eine glatte, karamellfarbene Haut und dunkle Augen und dunkle Augenbrauen, die Austin anziehend fand. Er hatte sie an diesem Tag schon einmal kurz gesehen, als er den Verlag in der rue de Lille aufgesucht hatte. Sie hatte an ihrem Schreibtisch in einem kleinen, verschatteten Büro gesessen und schnell und angeregt auf englisch ins Telefon gesprochen. Er hatte zu ihr hineingeschaut, als er vorbeiging, aber nicht mehr an sie gedacht, bis sie beim Empfang auf ihn zukam, ihn anlächelte und auf englisch fragte, wie ihm Paris gefalle. Später an dem Abend waren sie essen gegangen, und schließlich hatte er sie im Taxi nach Hause gebracht, war dann allein ins Hotel zurückgekehrt und eingeschlafen.
Am nächsten Tag jedoch rief er sie an. Er dachte sich nichts Besonderes dabei, es war bloß ein zielloser, tastender Anruf. Vielleicht konnte er mit ihr schlafen – obwohl er gar nicht einmal daran dachte. Es war bloß eine Möglichkeit, eine unvermeidliche Option. Als er sie fragte, ob sie ihn gern Wiedersehen würde, sagte sie, das würde sie, wenn er es wollte. Sie sagte nicht, daß ihr der Abend zuvor gefallen habe. Sie erwähnte den Abend überhaupt nicht. Es war beinahe so, empfand Austin, als hätte er gar nicht stattgefunden. Aber es war eine Haltung, die er attraktiv fand; sie war schlau. Sie konnte die Dinge beurteilen. Es war ganz und gar nicht amerikanisch. In Amerika hätte eine Frau den Anschein erwecken müssen, daß es ihr wichtig war, wichtiger wahrscheinlich, als es ihr nach einer harmlosen Begegnung sein konnte.
An dem Abend waren sie in ein kleines, lautes italienisches Restaurant in der Nähe des Gare de l’Est gegangen, ein Lokal mit grellem Licht und Spiegeln an den Wänden, in dem das Essen nicht sehr gut war.
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