Die Jaegerin
ihn so lange wie möglich aufhalten, damit er nicht auf den Gedanken kam, sich vor der Kirche umzusehen.
»Sie sind draußen.« Gavril erreichte sie und musterte sie besorgt. »Bist du verletzt?«
Alexandra schüttelte den Kopf. »Nicht der Rede wert. Was haben sie draußen zu suchen? Dort gibt es nichts mehr von Interesse.«
»Von wegen! Mihail hat einen Vampyr gesehen, der –«
»Einen Vampyr?« Alexandra stieß ein gezwungenes Lachen hervor. »Im Sonnenschein? Das ist doch lächerlich!«
»Ach ja?« Gavril runzelte die Stirn. »Wir haben während der letzten Jahre viele Dinge gesehen, die andere als unglaublich einstufen würden. Wie lächerlich findest du es, jemanden davonlaufen zu sehen, aus dessen Haut dicker weißer Qualm aufsteigt? Bezweifelst du wirklich, dass es sich dabei um einen Vampyr handelt?«
»Ich …« Qualm? Bei Gott, hoffentlich hat er sich nicht geirrt! Was, wenn ihn das Sonnenlicht doch umbringt? Irgendwo mussten auch Lucian Mondragons Fähigkeiten ihre Grenzen haben. »Aber der Unendliche existiert nicht mehr! Müssten mit ihm nicht alle anderen ebenfalls vernichtet sein?«
»Womöglich nicht vernichtet – wohl eher erlöst.«
»Erlöst?«
»Ich glaube, dass der Tod des Unendlichen den Fluch des Vampyrismus von seinen Kreaturen genommen hat«, mutmaßte er. »Diese beiden Vampyre, von denen du berichtet hast … Vladimir ließ uns Jagd auf sie machen.«
»Was?« Eine eisige Hand griff nach Alexandras Herz.
»Wir haben sie gestellt und … plötzlich ist etwas passiert!«, rief er aufgeregt. »Das Tageslicht machte ihnen nichts mehr aus und auch Silber oder ein Kreuz vermochten es nicht länger, ihnen etwas anzuhaben. Das muss der Augenblick gewesen sein, als du den Unendlichen getötet hast. Sie wurden wieder zu Menschen.«
»Habt ihr …? Sind sie …?«
»Sie leben natürlich!« Gavril wirkte beinahe entrüstet. »Wir töten keine Menschen!«
Für einen Moment schloss Alexandra erleichtert die Augen. Es hatte tatsächlich funktioniert. Der Tod des Unendlichen hatte den Fluch von Daeron und Catherine genommen, ganz wie sie es sich immer erhofft hatten. Das Ende des Ersten Vampyrs musste all seine Geschöpfe von seinem Fluch befreit haben. Jetzt existierte nur noch ein einziger Vampyr: Lucian Mondragon.
Draußen knallte ein Schuss. Alexandra erstarrte. Wie viel Abstand musste zwischen Lucian und dem Schwarzen Kreuz liegen, damit es ihm nicht mehr schaden konnte? Was war mit dem Schuss? Es wollte ihr kaum gelingen, sich auf Gavril zu konzentrieren, der sie mit Fragen zu überschütten begann. Ihre Antworten waren bestenfalls dürftig zu nennen. Tapfer hielt sie durch, bemüht, sich ihre Sorge nicht anmerken zu lassen. Zu ihrer Erleichterung schien Gavril ihr fahriges Verhalten auf ihre Erschöpfung zurückzuführen.
Als endlich Mihail und Vladimir die Kirche betraten, hatte sie Mühe, nicht sofort auf die beiden einzustürmen.
»Habt ihr ihn?«, fragte Gavril an ihrer Stelle.
Alexandra ballte die Hände zu Fäusten. Sie biss sich auf die Unterlippe und wartete auf die Antwort.
»Der Bastard war zu schnell!«, Vladimirs Blick fiel auf das Schwarze Kreuz, das noch immer auf dem Boden lag. »Aber früher oder später kriegen wir ihn!«
Nein, das werdet ihr nicht! Vielleicht würde sie eines Tages nach Lucian Mondragon suchen. Dann jedoch ohne die Jäger – und womöglich auch nicht, um ihn zu vernichten.
Glossar
Castle : Schloss
Clan : gälisch für Sippe oder Stammesverband
Close : zumeist eine Sackgasse
Dun : gälisch für Burg
Loch : gälisch für See oder lange Meeresbucht
Wynd : eine enge Gasse, gerade breit genug für ein Pferd
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