Die Jaegerin
oben. Was, wenn die Säule in sich zusammenfiel und der Nebel versickerte? Fransten die oberen Ränder bereits aus? Alexandra setzte sich auf. Ihre Kehle schmerzte und es fiel ihr noch immer schwer, zu atmen, dennoch durfte sie keine weitere Zeit mehr verschwenden. Die Finger um das Kreuz geklammert sah sie sich um. Keine zwei Fuß außerhalb des Nebelkreises lag ihre Pistole. Die Nähe des Kreuzes machte den Unendlichen verwundbar! Wenn es ihr gelang, die Waffe zu erreichen … Sehr langsam schob sie ihre Hand in Richtung der Pistole. Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr. Einer der Männer hatte sich von seinen Kameraden entfernt. Sie bemerkte ihn im selben Moment, als er den Abzug drückte. Alexandra warf sich zur Seite. Das Geschoss verfehlte sie nur um Haaresbreite. Sie rollte sich herum und griff nach ihrer Waffe. Wieder eine Bewegung! Den Finger am Abzug fuhr sie herum und legte an. Da erkannte sie Lucian, der den Schützen von ihr fortriss. Erschrocken ließ sie die Pistole sinken. Für einen Moment konnte sie ihn nur entsetzt anstarren. Sein Gehrock war von unzähligen Einschüssen zerfetzt. Die Verletzungen bereiteten ihm sichtlich Schmerzen, doch Alexandras Silberkugeln konnten ihn töten! Bei Gott, um ein Haar hätte ich auf ihn geschossen!
Hastig sah sie sich nach weiteren Gegnern um und stellte erleichtert fest, dass der, der auf sie geschossen hatte, der letzte war. Dem ersten von Lucians Hieben war er entkommen, jetzt jedoch hatte Lucian ihn in die Ecke gedrängt. Er würde nicht mehr entkommen. Blieb nur noch der Unendliche. Die Pistole im Anschlag sah sie sich um. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie sich nicht länger innerhalb der Nebelsäule befand. Sie musste den schützenden Kreis verlassen haben, als sie sich vor dem Schuss in Sicherheit gebracht hatte! Ihr Blick zuckte in Richtung des Unendlichen. Doch er war nicht mehr dort, wo sie ihn zuletzt gesehen hatte. Wo war er? Das Kreuz in der einen, die Pistole in der anderen Hand sah sie sich weiter um. Da wuchs er plötzlich über ihr auf. Er hielt noch immer ihren Silberdolch in der Hand. Ein Lichtstrahl brach sich in der Klinge, als er sie auf Alexandra herabfahren ließ. Sie warf sich zur Seite und feuerte ihre Pistole ab. Ihr Schuss verfehlte sein Ziel ebenso, wie es der Silberdolch tat. Doch der Unendliche reagierte schneller als sie. Noch ehe Alexandra ein zweites Mal schießen konnte, schlug er ihr die Pistole aus der Hand. Dann packte er sie und zerrte sie auf die Beine. Wieder blitzte die Klinge auf. Verwundert stellte Alexandra fest, dass es sich nicht um Lampenschein, sondern um einen ersten Sonnenstrahl handelte, der sich seinen Weg durch eines der Fenster bahnte. Ohne dass sie es bemerkt hatte, war es Tag geworden.
»Nein!« Mit einem wütenden Brüllen warf sich Lucian auf seinen Bruder und zerrte ihn von ihr fort. Alexandra taumelte zurück und stieß gegen den Altar. Der Unendliche fuhr herum und rammte Lucian die Silberklinge in die Schulter. Rauch kräuselte sich dort empor, wo das Silber in sein Fleisch drang. Lucian ging keuchend in die Knie. Der Unendliche riss den Dolch zurück. Er ist ihm ausgeliefert! Es war nicht schwer, zu erkennen, dass die Schusswunden Lucian zu schaffen machten. Zweifelsohne heilten sie bereits, doch die schiere Menge hatte ihn sichtlich geschwächt. Seine Bewegungen waren langsam und schwerfällig. Als der Unendliche erneut zum Angriff ansetzte, befürchtete Alexandra das Schlimmste. Du wirst nicht meinetwegen sterben! Ihr blieb nicht genügend Zeit – womöglich nicht einmal die Gelegenheit –, ihre Pistole aufzuheben, die neben dem Unendlichen auf dem Boden lag. Alexandra stieß sich von der Altarplatte ab. Sie würde diesem Monster in den Rücken springen und ihm das Kreuz in den Nacken pressen! Damit konnte sie Lucian vielleicht ein wenig Zeit verschaffen. Wenn es ihm in der Zwischenzeit gelänge, die Pistole aufzuheben … Nur noch zwei Schritte trennten sie vom Unendlichen. Alexandra setzte zum Sprung an. Noch ein Schritt. Plötzlich wich der Unendliche zur Seite und fuhr noch in derselben Bewegung herum. Als Alexandra sah, wie er ausholte, versuchte sie einen Haken zu schlagen. Doch sie hatte zu viel Schwung. Sein wuchtiger Schlag traf sie am Brustkorb und riss sie von den Beinen. Sie schlitterte über den Boden und prallte mit dem Rücken gegen das marmorne Weihwasserbecken. Das Kreuz wurde ihr aus der Hand gerissen und rutschte unter den Altar. Keuchend vor Schmerz blieb sie
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