Die Judenbuche
und Jagdfrevel war, wurde von den anderen als Anwendung alter Rechte aufgefaßt. Erst 1848 kam es zu einer Einigung zwischen den beiden Parteien.
Auch der zweite Teil der Judenbuche greift auf historische Ereignisse zurück, die sich auf den Besitzungen der Haxthausens abspielten. Im Februar 1783 wurde der jüdische Händler Soistmann Berend aus Ovenhausen erschlagen aufgefunden. Unmittelbar vorausgegangen war ein Prozeß Berends gegen den Knecht Hermann Georg Winckelhan, der sich wegen einer ausstehenden Zahlung für ein von Berend geliefertes Kleidungsstück verantworten mußte. Das Gericht unter dem Gerichtsherrn Caspar Moritz von Haxthausen, dem Urgroßvater der Annette von Droste-Hülshoff, entschied gegen Winckelhan, auf den nach dem offenbar kurz darauf begangenen Mord an dem Händler der Verdacht fiel. Der mutmaßliche Täter entzog sich der Verhaftung jedoch durch die Flucht und kehrte erst 1806 in seine Heimat zurück. Die Tat wurde nicht weiter verfolgt, ihr Hergang nie völlig geklärt. Im September desselben Jahres erhängte sich Winckelhan an einem Baum.
Um 1818 kam Droste-Hülshoff vermutlich erneut mit dieser Geschichte in Berührung, denn in diesem Jahr veröffentlichte August von Haxthausen (1792-1866), ein Halbbruder ihrer Mutter, seine Version der Geschehnisseunter dem Titel Geschichte eines Algierer-Sklaven in der Göttinger Zeitschrift Die Wünschelruthe. Ein Zeitblatt , die von H. Straube und J. P. von Hornthal herausgegeben wurde. Droste-Hülshoffs eigene Bearbeitung des Stoffs ließ jedoch noch auf sich warten. Erste Notizen sind zwar bereits Anfang der zwanziger Jahre entstanden, und auch ein erster ausgeführter Entwurf könnte noch aus diesem Jahrzehnt stammen, doch fällt die Hauptbeschäftigung mit dem Stoff in die zweite Hälfte der dreißiger Jahre. 1837 wird die Erzählung erstmals brieflich erwähnt, und 1840 meldet die Dichterin ihren vorläufigen Abschluß. 1842 konnte sie in Cottas renommiertem Morgenblatt für gebildete Leser erscheinen. Der heute geläufige Titel der Erzählung stammt übrigens nicht von Droste-Hülshoff selbst, die die Überschrift Ein Sittengemälde aus dem gebirgichten Westphalen vorgeschlagen hatte, sondern von dem auf Publikumswirksamkeit bedachten Redakteur des Morgenblatts , Hermann Hauff. Die Judenbuche stellte zwar den ersten größeren literarischen Erfolg der 45jährigen Autorin dar, aber doch noch lange keinen Durchbruch. Einer dauerhafteren Wirkung war die in 16 Fortsetzungen erfolgende Publikation eher abträglich, und auch ein unberechtigter Nachdruck im selben Jahr konnte nicht verhindern, daß die Erzählung allmählich wieder aus dem Bewußtsein der literarischen Öffentlichkeit verschwand. Die Anerkennung ihrer literarischen Bedeutung begann sich erst um 1900 allgemein durchzusetzen – im Unterschied übrigens zu Droste-Hülshoffs lyrischem und versepischem Werk, das schon früher zu Ansehen gelangte.
Die Judenbuche hat viele Leser ratlos hinterlassen. IwanTurgenjew ist nicht der erste und nicht der letzte, der das ausdrückt, wenn er in einem Brief von 1869 gesteht, »daß man am Ende nicht recht klug aus der ganzen Geschichte wird«. Nicht nur werden viele Einzelszenen und Gespräche so verknappt dargestellt, daß sie schwer verständlich sind, auch die zentralen Handlungselemente, auf deren Auflösung der Leser von Kriminal- und Detektivgeschichten Anspruch zu haben glaubt, bleiben dunkel. Wer ist der Mörder des Försters Brandis? Hat Friedrich Mergel den Juden Aaron erschlagen, und welche Rolle spielt dann das Geständnis des Lumpenmoises? Ist der Heimkehrer, den der Text als »Johannes« bezeichnet, tatsächlich Mergel, wie der Gutsherr behauptet? Was hat es mit der Buche und dem ominösen hebräischen Spruch auf sich? Und wie ist der schwächliche und verkrüppelte Mann hoch hinauf in den Baum gelangt, wo man ihn erhängt auffindet? All das und vieles andere bleibt ungeklärt. Zum Streitpunkt unter den Interpreten ist schließlich auch geworden, wie das Erzählte insgesamt zu verstehen sei. Es sind vor allem zwei gegensätzliche Deutungsmuster, auf die man immer wieder zurückgegriffen hat.
Auf der einen Seite läßt sich die Judenbuche als realistisch erzählte präzise Rekonstruktion der Entwicklung eines Menschen zum Mörder lesen. Unglückliche Umstände und eigenes Verschulden greifen dabei ineinander. Die allgemeine Verwirrung der Rechtsbegriffe, die die Mutter an ihr Kind weitergibt, der Niedergang der Familie, der Verlust
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