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Die Juedin von Toledo

Die Juedin von Toledo

Titel: Die Juedin von Toledo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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den Mund auf, aber kein Schrei kam aus der erstickten Brust.
    Alles, was sich in dem Zimmer mit der Estrade ereignet hatte, war ohne Lärm geschehen, dämmernd und seltsam gedämpft. Die finstern Begleiter des Castro waren, als er auf den Juden zuschritt, unwillkürlich noch weiter zurückgewichen, noch näher an die Wand. In das lautlose Sterben Jehudas hinein hörte man ihr starkes Atmen und, noch immer, das Plätschern des Springbrunns und den fernen Lärm derer an der weißen Mauer.
    Da begann plötzlich die Amme Sa’ad zu schreien, schrill, sinnlos. Und nun, unversehens, hob der Gärtner Belardo die Waffe, und besessen, hingegeben, schlug er mit der heiligen Hellebarde seines Großvaters auf Raquel ein. Und nun drangen auch die andern vor, sie schlugen los auf Raquel, auf die Amme, auf Jehuda, schlugen noch, als sie sich längst nicht mehr regten, trampelten auf ihnen herum, keuchend.
    »Genug!« befahl plötzlich der Castro. Sie verließen den Raum, sie warfen keinen Blick mehr zurück. Benommen, ein wenig taumelnd, dümmlich lachend, verließen sie das Haus. Einer der Soldaten des Castro, nicht ohne Mühe, löste die Mesusa von der Tür und steckte sie ein; er wußte noch nicht, ob er das Amulett zertreten oder zum eigenen Schutz behalten sollte. Sonst etwas im Hause des Königs anzutasten, wagte keiner.
    Die draußen hatten gewartet in Hitze und Glast. Jetzt verkündete ihnen der Castro: »Es ist getan. Sie sind hin. Die Hexe und der Verräter sind hin.« Sie hörten es, wahrscheinlich mit Genugtuung. Aber sie zeigten diese Genugtuung nicht, sie schrien nicht, sie jubelten nicht. Eher waren auch sie betreten. »Ja«, brummelten sie, »nun ist also die Fermosa hin.«
    Als sie die heiße, staubige Straße nach Toledo wieder hinaufstiegen, verflog ihnen Lust und Wut vollends. Die Torwächter fragten: »Nun, habt ihr nachgeschaut? Habt ihr sie gefunden?« Und: »Ja«, antworteten sie, »wir haben sie gefunden. Sie sind hin.« – »Recht so«, sagten die Torwächter. Aber ihr Vergnügen dauerte kurz, auch ihnen war die Wut verweht, sie waren für den Rest des Tages nachdenklich und eher verdrossen.
    Niemand dachte mehr daran, den Juden etwas zuleide zu tun. Gutmütig verspottete man die in der Judería: »Warum verschanzt ihr euch denn so? Habt ihr Angst vor uns? Jedermann weiß doch, wie gut sich die Euern gehalten haben vor Alarcos. Wir gehören doch zusammen, wir und ihr, in dieser Not.«

Sechstes Kapitel
    Don Alfonso hielt die Festung Calatrava unerwartet lange. Er war an der Schulter verwundet, nicht eben gefährlich, doch schmerzhaft, er fieberte häufig. Trotzdem lief und ritt er herum, kletterte in Rüstung die steilen Treppen der Wälle hinauf und hinunter, überwachte jede Einzelheit der Verteidigung. Die Offiziere beschworen ihn, er solle sich endlich nach seiner Hauptstadt durchschlagen; denn schon schwärmten die Moslems weit nach dem Norden vor, und die Straßen nach Toledo waren unterbrochen. Aber erst als es am Äußersten war, gab Alfonso die Festung auf, um sich mit dem größten Teil der Besatzung nach Toledo durchzukämpfen.
    Das war ein Unternehmen, das Umsicht und Tapferkeit erforderte. Von seinen nahen Freunden war nur Estéban Illán bei ihm; den Erzbischof Don Martín und Bertran de Born, die beide verwundet waren, hatte man nach Toledo geschafft. Alfonso ließ sich nicht anmerken, wie verzweifelt er unter der Niederlage litt; er zeigte raschen Blick, Findigkeit, Entschlußkraft. Des Nachts aber, allein mit Estéban, stürmte und wütete er: »Hast du gesehen, wie sie alles verwüstet haben? Jetzt spür ich es: was da verheert und verbrannt ist, das bin ich selber; es ist ein Teil von mir wie mein Arm oder mein Fuß.«
    Er stellte sich vor, wie es sein wird, wenn er jetzt nach Toledo kommt. Er dachte an das ruhige, hochmütige Gesicht Doña Leonors, und wieviel Widerwille und Verachtung wird hinter dieser klaren Stirn sein, wenn er nun nach seiner stolzen Ausfahrt so jämmerlich und mit Schande bedeckt vor sie hintritt. Er dachte hilflos rasend an die stille, spöttisch ehrerbietige Miene Jehudas. Er dachte an das beredte Gesicht Raquels. Hatte er nicht versprochen, ihr Sevilla zu schenken? Wo war Sevilla? Sie wird nicht danach fragen; zärtlich, demütig wird sie vor ihm stehen, ohne ein Wort des Vorwurfs, aber um sie werden matt und höhnisch ihre Inschriften vom Frieden glänzen.
    Unversehens faßte ihn eine sinnlose Wut. Don Martín hatte recht, Raquel war eine Hexe, sie war es, die

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