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Die Jungens von Brug Schreckenstein

Die Jungens von Brug Schreckenstein

Titel: Die Jungens von Brug Schreckenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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Zeigestock vor der Karte herumfuchtelnd, „ich nenne euch jetzt verschiedene Orte, und ihr kommt heraus und zeigt sie mir!“
    Die Sonne schien in das schöne, große Klassenzimmer, und Mücke gab dem Alleswisser Strehlau einen Taschenspiegel und sagte:
    „Wenn ich drankomme, blinkst du hin, verstanden!“ Strehlau nickte ergeben. Seit dem Ritterschwur fühlte er sich den anderen gegenüber noch schwächer und vermied daher jedes Ärgernis.
    „Mücke, zeige mir Bagdad!“ lautete prompt die erste Frage. Der Aufgerufene ging an die Karte, Strehlau richtete den Spiegel nach der Formel „Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel“, während Klaus und Dieter, die Unzertrennlichen, durch möglichst dumme Fragen für die Ablenkung Schießbudes sorgten, bis der Punkt gefunden war. Dieses Spiel beherrschten wir fast noch besser als Fußball.
    „Erstaunlich“, sagte Schießbude, „die neue Umgebung scheint deinem Geist zu bekommen!“
    Mit dieser Feststellung löste er jedoch etwas aus, womit keiner gerechnet hatte, denn Mücke erwiderte: „Im Gegenteil, ich habe mir Bagdad zeigen lassen, von wem sage ich aber nicht!“
    Schießbude staunte, daß ihm der Mund offenstehen blieb, und auch wir stutzten einen Augenblick.
    Mücke hatte vollkommen recht. Selbst die Beschwindelung eines Lehrers war mit den Statuten der Ritter nicht mehr vereinbar. Ausgerechnet er, der Kleinste, hatte das als erster bemerkt und dementsprechend gehandelt. Wir mußten ihn bewundern. Aber auch Schießbude zeigte sich von dem freimütigen Geständnis sichtlich beeindruckt und sagte mit hörbarem Wohlwollen in der Stimme:
    „Es war sehr anständig von dir, das zuzugeben. Hole also das Versäumte nach, damit du’s in Zukunft allein findest!“
    Jetzt staunten wir über Schießbude. Keine Bestrafung? Donnerwetter! Demnach hatte der Geist der Ritter neben der ehrenhaften auch eine praktische Seite. Wenn man einem Menschen offen und ehrlich gegenübertrat, konnte der nicht böse werden. Und der schmächtige Lehrer wuchs in unserer Achtung von der Schießbude zum Schießstand.
    Der Vorfall machte natürlich Schule, und das Verhältnis zu unseren Erziehern änderte sich erheblich. Ob es nun an der neuen Umgebung, dem Zusammenleben oder der ritterlichen Gesinnung lag — wahrscheinlich an allem zusammen —, jedenfalls wurde der Ton, den die Lehrer uns gegenüber anschlugen, immer milder. In Neustadt waren wir beim ersten Klingelzeichen hinausgelaufen, in der festen Überzeugung, daß ein Lehrer
    a) kein Mensch und
    b) nur zu unserem Ärger auf der Welt sei.
    Und jetzt entdeckten wir auf einmal Seiten an ihnen, die richtig nett waren. Wir spielten zusammen Schach, bastelten gemeinsam an einem Segelflugzeug oder schauten Gießkanne zu, der großes Talent als Landschaftsmaler entwickelte.
    „Ein Lehrer ist wie ein Gerichtsvollzieher“, stellte Mücke treffend fest, „solang er seinem Beruf nachgeht, kann ihn kein Mensch nett finden!“
    Das war es. Im Unterricht konnten sie sich einfach nicht entfalten. Aber danach. Am nettesten waren sie beim Essen. Jeder betreute einen Tisch, als Oberhaupt. Da wurde geblödelt und gelacht, und keiner sagte etwas, wenn wir wie die Scheunendrescher futterten. Solange die Ellenbogen unten blieben, konnten wir „’reinschippen“, was ’reinging. „Spachteln“ nannten wir es. Als Ottokar den Rekord für „Dampfnudeln mit heißer Vanillesoße“ auf zehn Stück hinaufschraubte, machte der Rex, bei dem er am Tisch saß, sogar die Striche auf den Kontrollblock. Zu Hause wäre so etwas undenkbar gewesen. Nun hatten wir aber auch einen ganz anderen Hunger als in Neustadt. Die Arbeit am Sportplatz oder in Heinis neuangelegtem „Schrebergarten“, der die Schule mit Schnittlauch, Salat und Tomaten versorgte, das alles machte ganz schön Kohldampf. Und immer waren unsere Lehrer mit dabei.
    „Man hat gar keine Lust mehr, die Kerle zu ärgern!“ klagte Ottokar, und damit hatte er vollkommen recht. Sie halfen uns ja überall. Auf diese Weise kamen die sonst üblichen Streiche während des Unterrichts einfach außer Mode. Durch das Zusammenleben gab es ja ganz andere Möglichkeiten. Zum Beispiel in der Nacht!
    Dazu mußte man natürlich Phantasie haben. Klaus und Dieter hatten sie. Während wir alle schliefen, machten sie eine Erkundungstour durch sämtliche Keller und Speicher der Burg. Nicht, daß sie Schlüssel für die vielen Türen gehabt hätten — o nein, nur einen Bund Dietriche. Niemand bemerkte etwas, nicht einmal

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