Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Jungens von Brug Schreckenstein

Die Jungens von Brug Schreckenstein

Titel: Die Jungens von Brug Schreckenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
Vom Netzwerk:
bewohnte eine Art Anbau an der Südseite der Burg. Vor seinen Fenstern lag ein Park, in dem jeder Baum und jeder Grashalm militärisch ausgerichtet war. Natürlich durften wir da nicht hinein, außer morgens, wenn wir unter Führung des Sportlehrers unseren Dauerlauf machten. Hans, der Diener, Kellner, Kutscher und Chauffeur des Grafen, sorgte für strikte Einhaltung des Verbots. Aus Gründen der Vornehmheit nannte er sich selber „Jean“, trotzdem konnte ihn keiner leiden.
    Gleich vom ersten Tag an hatten die großen Jungen die Folterkammer beschlagnahmt, einen düsteren Raum unter dem Burgfried, wie der dicke Turm hieß.
    Sie nannten sich „Ritter“ und kamen jeden Abend dort zusammen. Von der Daumenschraube bis zur Streckbank fehlte an Marterwerkzeugen nichts. In einer Ecke stand ein großer schwarzer Kasten, den niemand aufbrachte, bis eines Tages ausgerechnet Hans-Jürgen, unser zartbesaiteter Dichter, auf eine Holzleiste trat, die davor in den Steinboden eingelassen war. Quietschend sprang die Tür auf, und ein staubiges Skelett mit einer Sense grinste drohend heraus. Alle erschraken mehr, als sie zugeben wollten. Nur Mücke, der sich am schnellsten wieder gefaßt hatte, ging hin, schloß die Tür und sagte:
    „Aber Paule, bleib drin, du erkältest dich ja!“

    Daß der Knochenmann von Stund an nur noch „Paule“ hieß, versteht sich.
    Nachdem sich alles in der neuen Umgebung eingewöhnt hatte, holten uns die Ritter eines Nachts aus den Betten. Wir mußten uns anziehen und zu einer wichtigen Versammlung in die Folterkammer kommen. Leise, daß kein Erwachsener etwas hören konnte, schlichen wir die alte Treppe hinunter, bis alle hundertfünfzig Jungen um den steinernen Richtertisch versammelt waren. Nur drei Kerzen erhellten den Raum und verbreiteten eine ebenso gespenstische wie feierliche Stimmung. Da erhob sich Dampfwalze, der mit Ottokar und Mücke auf den Richterstühlen saß, und sagte mit Würde:
    „Jungens! Der Schreckenstein ist keine Schule, sondern eine Burg. Unsere Burg! Die Ritter, die hier früher gehaust haben, waren keine Feiglinge, sondern Männer, die gekämpft haben und für ihre Taten eingestanden sind. Wollt ihr, daß wir auch so werden wie sie?“
    Alle waren derart beeindruckt, daß keiner ein Wort sagen konnte. Dampfwalze hatte genau das ausgesprochen, was jeder von uns fühlte. Natürlich wollten wir werden wie die Ritter. Und so nickte alles stumm. Dann fuhr Dampfwalze fort:
    „Das habe ich erwartet. Aber es ist nicht leicht, ein Ritter zu werden. Dazu gehören Mut und Aufrichtigkeit. Der Rex hat gesagt, daß wir alles tun dürfen, solange nichts dabei kaputtgemacht wird und kein Falscher darunter zu leiden hat. Das bedeutet, daß unser Rex ein Ritter ist. Und das wollen wir auch sein. Jeder von euch, der Ehre im Leib hat, hält sich an diese Regel, und wenn er was falsch macht, dann steht er auch dafür gerade. Wer das nicht tut, sondern wie ein Feigling lügt, ist eine Memme. Und was man früher mit solchen Leuten gemacht hat“ — sagte er gedehnt, mit einem Blick auf die Streckbank —, „das seht ihr ja hier!“
    Keiner schaute den anderen an, und sogar Mücke, der sonst immer eine freche Antwort bereit hatte, schwieg. Auch er war zum Ritter geworden.
    Nach einer Weile fuhr Dampfwalze fort:
    „Auf einer Ritterburg kann man nur als Ritter leben. Wer dagegen verstößt, wird ausgestoßen. Wenn ihr also mittun wollt, dann schwört mit mir eueren Rittereid:
     
    Ich will auf Schreckenstein
    allzeit mutig und ehrlich sein !“
     
    Das hatte Dampfwalze prima gesagt. Selbst Streh-lau, das Muttersöhnchen, konnte sich der Wirkung seiner Worte nicht entziehen. Also hoben wir alle die Rechte und sprachen die Eidesformel nach, die Hans-Jürgen so treffend formuliert hatte:
     
    Ich will auf Schreckenstein
    allzeit mutig und ehrlich sein!
     
     
     

Rittertum verpflichtet
     
    Unsere Lehrer hatten von dem nächtlichen Schwur nichts bemerkt. Sie sollten jedoch bald etwas merken, denn die ritterliche Gesinnung brachte manche Umstellung mit sich. Sie beeinflußte unser gesamtes Leben, sogar im Unterricht.
    Wir hatten gerade Erdkunde bei „Schießbude“, einem Lehrer, der wegen seiner schmächtigen Gestalt so genannt wurde. Zudem hatte er noch nicht einmal einen richtigen Bartwuchs, und das ist doch das mindeste, was man von einem Lehrer verlangen kann. Darin waren wir uns alle einig.
    „Heutzutage braucht man Erdkundekenntnisse schon zum Zeitunglesen!“ begann er, mit seinem

Weitere Kostenlose Bücher