Die Jungfrau Im Eis
Kopf, um Cadfaels Gesicht von nahem zu betrachten. Alles an ihm war fremd und erregend und doch bemerkte Bruder Cadfael immer wieder mit angehaltenem Atem etwas Altvertrautes, das jedoch schon so lange zurücklag, daß das Bild entschwand, bevor er es festhalten und in seinem Gedächtnis nach dem Ursprung forschen konnte.
»Ihr seid sehr gütig«, sagte Olivier, und sein Lächeln war gleichzeitig herausfordernd und belustigt, »und doch wißt Ihr nichts von mir! Wie könnt Ihr sicher sein, daß Ihr mir trauen könnt und daß ich kein Späher für meinen Herrn und die Kaiserin bin?«
»Oh, ich weiß mehr über Euch, als Ihr wahrscheinlich denkt.
Ich weiß, daß Ihr Olivier de Bretagne heißt und daß Ihr mit Laurence d'Angers aus Tripoli gekommen seid. Ich weiß, daß Ihr ihm sechs Jahre gedient habt und er mehr Vertrauen in Euch setzt als in jeden anderen seiner Ritter. Ihr seid in Syrien geboren, der Sohn einer syrischen Mutter und eines fränkischen Ritters, und seid nach Jerusalem gegangen, um den Glauben Eures Vaters anzunehmen und Euch den Franken anzuschließen.« Und ich weiß noch mehr, fuhr er in Gedanken fort und dachte an das hingerissene Gesicht des Mädchens und die begeisterte Stimme, mit der sie ihren Ritter pries. Ich weiß, daß Ermina Hugonin, eine stolze Frau, dich in ihr Herz geschlossen hat und nicht so einfach wieder verlassen wird und an dem Blick deiner braunen Augen und dem Blut, das dir zu Kopf schießt, erkenne ich, daß auch du sie liebst und weißt, daß du nicht weniger wert bist als sie. Du wirst nicht zulassen, daß ein anderer aus den Umständen deiner Geburt eine Schranke zwischen euch errichtet. Nur ein Onkel, der vor nichts zurückschreckt, könnte sich euch in den Weg stellen.
»Sie hat Euch wahrlich in ihr Vertrauen gezogen!« sagte Olivier ernst und feierlich.
»Das darf sie auch, ebenso wie Ihr. Ihr seid mit einem ehrenvollen Auftrag hierhergekommen und habt ihn hervorragend erfüllt. Ich stehe auf Eurer Seite und auf der dieser beiden Geschwister. Ich habe gesehen, wie beherzt Ihr und sie seid.«
»Aber dennoch«, wandte Olivier ein und lächelte traurig, »hat sie Euch und sich selbst etwas vorgemacht. Jeder fränkische Soldat, der sich am Kreuzzug beteiligte, kann in ihren Augen nur ein edler Ritter gewesen sein. Aber die meisten waren von der Erbfolge ausgeschlossene, jüngere Söhne, romantisch veranlagte Bauernburschen oder Vagabunden, die gesucht wurden, weil sie gestohlen, geraubt oder den Opferstock einer Kirche geplündert hatten und dem Zugriff des Sheriffs gerade noch entkommen konnten. Sie waren nicht schlechter als die meisten anderen Männer, aber auch nicht besser. Und nicht einmal jeder Ritter mit Pferd und Lanze war ein Gottfried von Bouillon oder ein Guimar de Massard. Mein Vater war kein Ritter, sondern ein einfacher Soldat in Robert von Normandies'
Armee. Und meine Mutter war eine arme Witwe, die eine Bude auf dem Markt von Antiochia hatte. Ich bin ein uneheliches Kind, eine Mischung aus zwei Völkern, zwei Religionen, eine Erinnerung an die Zeit vor ihrer Trennung. Aber trotzdem war sie wunderschön und liebevoll und er war tapfer und gütig - und ich glaube, daß ich gute Eltern gehabt habe und jedem anderen ebenbürtig bin. Das werde ich Erminas Familie darlegen und sie werden mich anerkennen und sie mir zur Frau geben!«
Seine tiefe, sanfte Stimme war eindringlich geworden und sein Falkengesicht erglühte in leidenschaftlichem Ernst. Als er geendet hatte, holte er tief Atem und lächelte. »Ich weiß nicht, warum ich Euch all dies erzähle. Vielleicht, weil ich weiß, daß Ihr Euch gut um sie gekümmert habt und ihr eine Zukunft wünscht, die sie verdient. Ich möchte, daß Ihr gut von mir denkt.«
»Ich bin selbst nur ein einfacher Mann«, sagte Cadfael beruhigend, »und gute Männer habe ich in Bauernkaten ebenso gefunden wie an Fürstenhöfen. Ist Eure Mutter tot?«
»Ja. Sonst hätte ich sie nie verlassen. Ich war vierzehn Jahre alt als sie starb.«
»Und Euer Vater?«
»Ich habe ihn nie gesehen und er mich auch nicht. Gleich nach ihrer letzten Begegnung schiffte er sich von St. Symeon nach England ein. Er hat nie erfahren, daß sie einen Sohn von ihm hatte. Seit er nach Syrien gekommen war, hatten sie sich geliebt. Sie hat mir niemals seinen Namen gesagt, aber sie sprach oft von ihm und nur Gutes. Es kann kein Fehl an einer Beziehung sein«, sagte Olivier gedankenvoll, »die sie mit so viel Stolz und Liebe erfüllte.«
»Die Hälfte
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