Die Kälte Des Feuers
bemerkte, daß Lena nach draußen gegangen war, und als ich aus dem Schlafzimmerfenster blickte, sah ich mattes Licht in der Mühle …«
… der Junge dreht sich zu ihr um und ruft: Hilf mir. Ich habe Angst. Die Wände, die Wände!
»… Und ich glaubte, meinen Augen nicht trauen zu können, denn die Windmühlenflügel drehten sich, selbst damals hatten sie sich schon seit zehn oder fünfzehn Jahren nicht mehr gedreht, der Mechanismus war blockiert…«
… Bernsteinfarbenes Licht glüht aus den Wänden, in den Tönungen von Eiter und Galle; der Kalkstein wölbt sich vor, und sie begreift plötzlich, daß sich etwas Lebendiges und Monströses daraus hervorschieben will…
»… Aber sie drehten sich wie die Propeller eines Flugzeugs, ich streifte rasch die Hose über und eilte nach unten …«
… Furcht und eine unheilvolle Aufregung erklingen in der Stimme des Jungen, als er sagt: Es kommt, und niemand kann es aufhalten!
»… Ich griff nach der Taschenlampe und lief nach draußen in den Regen …«
… die gewölbte Fläche aus Steinblöcken und Mörtel platzt wie die schwammige Membran eines Insekteneis. Eine Gestalt bildet sich in der schleimigen Masse, die Verkörperung von Jims Zorn auf die Welt und ihre Ungerechtigkeit, fleischgewordener Haß, seine eigene Todessehnsucht, so intensiv und finster, daß sie zu einer separaten, von ihm unabhängigen Wesenheit wird …
»… Ich erreichte die Mühle und konnte einfach nicht glauben, daß sich die alten Flügel drehten, wusch, wusch, wusch!«
An dieser Stelle endete Hollys Traum, aber ihre Vorstellung fügte eine wahrscheinliche Schlußsequenz hinzu. Die Manifestation des Feindes entsetzte Lena, und sie gelangte zu dem verblüffenden Schluß, daß sich der Junge die fremde Präsenz in der Mühle nicht nur eingebildet hatte. Sie war so überrascht und erschrocken, daß sie nach hinten taumelte, die lange Wendeltreppe hinunterfiel und sich dabei nirgends festhalten konnte, weil es kein Geländer gab. Irgendeine Stufe brach ihr das Genick.
»… Ich betrat die Mühle … fand sie am unteren Ende der Treppe, reglos, den Kopf unnatürlich weit zur Seite gedreht … tot.«
Henry unterbrach sich und schluckte krampfhaft. Während seiner Schilderungen sah er Holly nicht an, sondern hielt den Blick auf Jims gesenkten Kopf gerichtet. Das Lallen in seiner Stimme ließ nach, als sei es sehr wichtig für ihn, den Rest so deutlich wie möglich zu erzählen.
»Ich ging die Treppe hoch und fand dich in der hohen Kammer, Jimmy«, fuhr er fort. »Weißt du noch? Du hast neben der Kerze gesessen, das Buch so fest umklammert, daß ich es erst einige Stunden später aus deinen Händen lösen konnte. Und du gabst keinen Ton von dir.« Die Stimme des alten Mannes zitterte nun. »Gott verzeih mir … Ich dachte nur an Lena, an meine tote Lena. Und du warst so seltsam, sogar noch sonderbarer mit dem Buch und deinem Schweigen. Ich glaube, ich … drehte durch. Ich hielt dich für verantwortlich. Ich dachte, du hättest einen … Anfall bekommen und Lena die Treppe hinuntergestoßen.«
Es schien zuviel für ihn zu sein, weiterhin zu seinem Enkel zu sprechen. Henry wandte sich an Holly. »Im Jahr nach Atlanta war er eigenartig, gar nicht mehr der Junge, den wir kannten. Er schwieg die meiste Zeit über, wie ich schon sagte, doch tief in ihm wohnte ein Zorn, den kein Kind in diesem Ausmaß empfinden sollte. Manchmal fürchteten wir uns davor. Er zeigte ihn nur im Schlaf, wenn er träumte … Des Nachts hörten wir ihn schreien, und wenn wir durch den Flur in sein Zimmer gingen … Er trat um sich, schlug auf die Matratze und das Kissen ein, zerrte an den Laken … Ja, wenn er schlief, fand seine Wut ein Ventil, und dann mußten wir ihn wecken.«
Henry seufzte und sah auf seine krumme rechte Hand, die schlaff im Schoß ruhte.
Holly spürte, daß sich Jim nicht entspannte. Seine Fäuste blieben geballt und hart.
»Du hast nie versucht, Lena oder mich zu schlagen, Jimmy, nein, du warst ein guter Junge solche Probleme gab es nicht mit dir. Aber damals in der Mühle … Ich habe dich gepackt und geschüttelt, Jimmy. Ich wollte dein Eingeständnis, daß du Lena die Treppe hinuntergestoßen hattest. Es gibt keine Entschuldigung dafür, daß ich mich auf diese Weise verhielt - abgesehen vielleicht von meinem Kummer über Jamie und Cara, und nun auch Lena. Alle starben um mich herum, und nur du bliebst übrig, ein seltsamer Junge, so verschlossen und eingekapselt, daß ich es mit der
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