Die Kälte Des Feuers
trotzdem. Die Wärme aus den Belüftungsschlitzen blieb ohne Einfluß auf die Kühle in ihr.
Holly betrat ein Motel in Santa Barbara, und die Digitaluhr hinter dem Empfangstresen zeigte 1:11 nachmittags. Während sie das Formular ausfüllte und dem Angestellten ihre Kreditkarte reichte, schlief Jim weiterhin im Ford.
Kurze Zeit später kehrte sie mit dem Schlüssel nach draußen zurück, weckte ihn und führte ihn ins Zimmer. Er war so benommen, daß er sich kaum seiner Umgebung bewußt wurde, wankte zum Bett, streckte sich aus und schlief sofort wieder ein.
Holly ging zu den Automaten am Pool, kaufte Limonade, Eis und Schokolade.
Anschließend zog sie im Raum die Vorhänge zu, knipste eine Nachttischlampe an und legte ein Handtuch darüber, damit sie nicht so hell strahlte.
Sie zog einen Stuhl heran, nahm neben dem Bett Platz, trank Limonade und knabberte an einem Schokoladenriegel, während sie Jim beobachtete.
Das Schlimmste war vorbei. Die Fantasiewelt hatte sich vollständig aufgelöst; Jim befand sich nun wieder in der kalten Realität.
Holly überlegte, welche Nachwirkungen sich ergeben mochten. Sie kannte Jim nur mit seinen Wahnvorstellungen und wußte nicht, wie er ohne sie sein würde. War er dann ein optimistischerer Mann - oder jemand, der sich Depressionen hingab? Besaß er jetzt noch immer übermenschliche Kräfte? Er hatte diese Macht nur genutzt, um an seiner falschen Version der Wirklichkeit festzuhalten und das innere Gleichgewicht zwischen Licht und Finsternis zu wahren. Vielleicht war er jetzt nur noch so begabt wie vor dem Tod seiner Eltern … Vielleicht beschränkten sich die speziellen Talente darauf, eine Büchse schweben zu lassen und Münzen mit Gedankenkraft zu bewegen, mehr nicht. Doch die bedrückendste Frage lautete: Liebt er mich jetzt noch?
Jim schlief nach wie vor, als es Zeit zum Abendessen wurde.
Holly besorgte sich mehr Schokolade. Ein weiterer Kalorienschub. Himmel, ich werde so dick wie meine Mutter, wenn ich mich nicht am Riemen reiße!
Jim schlief. Es wurde zehn, dann elf. Mitternacht.
Holly spielte mit dem Gedanken, ihn zu wecken, entschied sich dann aber dagegen. Er ruhte wie in einem Kokon und wartete darauf, aus dem alten Leben in ein neues geboren zu werden. Eine Raupe brauchte Zeit, um sich in einen Schmetterling zu verwandeln. Darin bestand Hollys Hoffnung.
Irgendwann zwischen Mitternacht und ein Uhr schlief sie auf dem Stuhl ein. Diesmal träumte sie nicht.
Jim weckte sie.
Sie sah auf, blickte ihm in die wundervollen Augen, die im trüben Licht der zugedeckten Lampe nicht kalt wirkten, aber immer noch geheimnisvoll.
Er beugte sich über den Stuhl und schüttelte sie sanft. »Wach auf, Holly. Wir müssen los.«
Sofort streifte sie die Reste der Müdigkeit ab und richtete sich auf. »Wohin?«
»Scranton, Pennsylvania.«
»Warum?«
Jim griff nach einem Stück Schokolade, strich das Papier beiseite und biß hinein. »Morgen nachmittag um fünfzehn Uhr dreißig wird ein rücksichtsloser Schulbusfahrer versuchen, einen Bahnübergang kurz vor einem Zug zu überqueren. Sechsundzwanzig Kinder werden sterben, wenn wir nicht rechtzeitig zur Stelle sind.«
Holly erhob sich. »Du weißt alles, die ganze Sache, nicht nur einige wenige Einzelheiten?«
»Natürlich«, erwiderte Jim mit vollem Mund und lächelte. »Ein Kinderspiel für mich. Immerhin habe ich übernatürliche Kräfte.«
Sie lächelte.
»Eine wichtige Aufgabe erwartet uns, Holly«, fuhr Jim fröhlich fort. »Superman? Zum Teufel auch, warum vergeudete er seine Zeit mit einem Job als Reporter, obwohl er soviel Gutes hätte bewirken können?«
»Das habe ich mich oft gefragt«, erwiderte Holly. Erleichterung und Liebe vibrierten in ihrer Stimme.
Jim gab ihr einen Schokoladenkuß. »Ein Paar wie uns hat die Welt noch nicht gesehen, Schatz. Natürlich mußt du noch einiges lernen: Kampfsport, den Umgang mit Waffen und andere Dinge. Aber bestimmt wirst du zu einer guten Partnerin. Ich bin ganz sicher.«
Sie schlang die Arme um Jim, drückte sich fest und mit ungetrübter Freude an ihn.
Das Leben hatte einen Sinn.
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E N D E
epub-Version erstellt im Januar 2013 von einem Schalke-Fan. Glück auf!
Grüße an SpiegelBest und die Hörspiel-Scene!
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