Die Kälte in dir (German Edition)
Kristina hatte keine Ahnung. Noch waren keine Ansichtskarten eingetroffen.
»Können wir?«, mahnte Finckh und sah demonstrativ auf die Armbanduhr.
Kristina sah die glänzenden Schweißperlen auf seinem haarigen Unterarm.
Alle um mich herum schwitzen … Ich bin meinen Führerschein los … Ein Todesfall im Welzheimer Wald …
Der Sommer war noch jung, und sie konnte ihn schon jetzt nicht ausstehen.
Kurz nach halb neun fuhren sie aus der Tiefgarage des Polizeipräsidiums. Raus aus der Stadt. Es war kaum Verkehr. Sommerferien. All jene, die arbeiten mussten, waren früh ins Büro gefahren, um die Stunden zu nutzen, bevor das Sommerhoch und die damit verschmolzene lähmende Trägheit zu mächtig wurden. Ehe der Körper alle Energie darauf verwandte, das Gehirn zu kühlen. Die Hitze hatte begonnen, den Tagesablauf der Menschen zu dirigieren. Schwülfeuchte, süddeutsche Hitze, zäh zu atmen und klebrig auf der Haut. Wer nichts zu erledigen hatte, verweilte in der Kühle seines Hauses oder war dabei, die Tasche fürs Freibad zu packen, um im Chlorwasser Erfrischung zu suchen. Nur das Verbrechen machte keine Ausnahme. Es schlief nicht, und wie es schien, konnte es ihm auch nicht zu heiß sein.
»Was hat die Leitstelle gesagt?«, fragte Kristina.
Werner Finckh, die Augen hinter einer Fliegersonnenbrille verborgen, hob die rechte Braue. »Bist du endlich gelandet? Ich hatte schon befürchtet, dein teilnahmsloses Zombie-Gehabe dauert den ganzen Tag an und ich müsste den Job allein erledigen. Die Hitze? Oder der Führerschein?«
»Konzentrieren wir uns auf den Fall!«, herrschte sie ihn an. Zu forsch, aber sie wollte klarmachen, dass sie das heikle Thema Fahrlizenz nicht zu diskutieren gedachte.
Finckh schüttelte den Kopf, hielt sich aber mit einer Bemerkung zurück. Er hatte gelernt, mit ihrer direkten Art umzugehen. Das gelang nicht jedem im Präsidium.
»Ein Bauer hat heute Morgen die Leiche eines Mannes entdeckt«, berichtete er. »Vielmehr war es sein Hund, soweit ich verstanden habe. Fest steht, dass die Person schon länger tot ist. Ich hoffe, du hast noch nicht gefrühstückt. Die Kollegen, die als Erste vor Ort waren, haben schon ordentlich gereihert.«
»Die Kriminaltechnik ist informiert?«
»So lange, wie du mich hast warten lassen, hätte ich noch jeder Menge anderer Leute Bescheid geben können«, raunzte Finckh.
Sie erinnerte sich, dass er für die kommende Woche Urlaub beantragt hatte. Ferien mit den Enkeln. Hatte er nicht vor Kurzem erzählt, dass er sie mit auf einen Angelausflug nehmen wollte? Sie hütete sich, danach zu fragen, konnte sich jedoch schwer vorstellen, dass zwei Jungs im Vorschulalter Spaß am Fischefangen fanden.
Werner Finckh war jetzt 58 und träumte bereits von der Pensionierung, seit Kristina ihn kannte. Stress war für ihn mit fortschreitenden Dienstjahren mehr und mehr zum Fremdwort geworden. Seine entspannte Einstellung war über die Abteilung hinaus bekannt und wurde ab und an müde belächelt. Es war nicht so, dass er seinen Job schlecht machte. Auf sein kriminalistisches Gespür war Verlass. Aber Kristina war auch klar, er würde auf seinen bereits genehmigten Urlaub ab Montag bestehen, egal was in den Höhen des Schwäbischen Waldes vorgefallen war. Inwieweit sich das auf die bevorstehenden Ermittlungen auswirkte, blieb abzuwarten. Sie hatte kein gutes Gefühl, obwohl sie noch nicht einmal wusste, was sie dort oben vorfinden würde.
Kristina war müde. Seit es so heiß war, schlief sie schlecht. Sie konnte nicht einschätzen, was sie mehr in ihrem Denken und Handeln lähmte – Hitze, Übermüdung oder die unverrückbare Tatsache, den Führerschein verloren zu haben?
Finckh steuerte auf die B29 Richtung Aalen, hinein in das idyllische Remstal, dessen sanfte Hänge zur Flussmündung in den Neckar hin für den Weinbau genutzt wurden. Eine beschauliche Landschaft mit fachwerkgeschmückten Weinorten, Streuobstwiesen und bewaldeten Bergkämmen. Schwäbisch, bodenständig, gemütlich und nur wenige Kilometer von der Landeshauptstadt Stuttgart entfernt. All das machte die Gegend zum perfekten Naherholungsgebiet.
Aber Kristina hatte jetzt kaum ein Auge dafür. Entgegen Finckhs Ungeduldsäußerung vor ihrem Aufbruch legte ihr Kollege keine große Eile an den Tag.
Ein Toter läuft nicht mehr weg,
äußerte er gerne, wenn sie sich dazu genötigt fühlte, ihn anzutreiben.
Selbst auf der vierspurigen Bundesstraße blieb er unter den zulässigen hundertzwanzig
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