Die kalte Koenigin
Ich verspürte Zorn über diese Anschuldigungen.
»Du bist derjenige, der den Schleier für ihn zerreißt. Deine Zeremonien werden diese Prophezeiungen beenden. Du bist das Fleisch und das Blut der Prophezeiungen der Medhya, Maz-Sherah. Du bist die Verkörperung all dessen, was Artephius auf dieser Erde zu erschaffen wünscht. Du bist...«
Ich wollte ihr den Mund verschließen, um die Lügen davon abzuhalten, aus ihr herauszuströmen. Ich wollte sie am Atmen hindern, sie sollte niemals wieder sprechen können.
»Du bist sein Sohn«, sagte sie schließlich. Da setzte ich mich neben sie. Mein Herz pochte in meiner Brust, ich empfand Schmerzen, wie ich sie seit den Qualen durch den Roten Skorpion nicht mehr gefühlt hatte. Und sie erzählte mir von den Dingen, gegen die ich blind gewesen war.
»Mit Hilfe von Zauberei brachte er Samen aus seinem Körper in den Leib deiner Mutter. Meinst du, dass deine Geburt ein Zufall des Fleisches gewesen ist? Dass deine Mutter, Enkelin des Druidenvolkes, der Magier deines Landes, die seit tausend Jahren Vampyre in den Wäldern Europas bekämpft hatten, noch bevor selbst Rom entstanden war, nicht sorgfältig ausgewählt sein konnte? Aus dem Schlamm, so hieß es in den
Prophezeiungen. Aus dem Land im Westen der Reiche. Dort, wo der Schleier auf der Erde dünn wurde, da wird eine Tochter von Magiern gefunden werden. Durch sie, durch Schlamm und Leid soll der Maz-Sherah geboren werden. Und er wird zu uns kommen aus der Verzweiflung des Reiches der Sterblichen. Ich habe dies so lange vor deiner Geburt gesehen, dass ich beinahe die Wahrheit der Prophezeiung vergessen hatte, als du in dem Turm von Hedammu zu mir kamest. Er hatte gewusst, dass ich das Werkzeug deiner Auferstehung sein würde. Es hatte schon andere gegeben, die wir als Maz-Sherah betrachtet hatten. Ich hatte viele von ihnen im Laufe der Jahrhunderte in den Tod und in die Auslöschung geschickt. Aber mit dir vermochte ich dies nicht zu tun. Du hast mich mit großer Angst erfüllt, als ich dir Unsterblichkeit in die Lungen blies, obgleich ich dir stattdessen Feuer hätte in die Lungen blasen sollen.
Hast du nicht die Myrrydanai bei deiner Wiedergeburt zum Vampyr gespürt? Hast du nicht ihr Flüstern gehört? Du warst ihr Zugang zu dieser Welt. Deine Geburt zerriss doch den Schleier. Deine Auferstehung zerriss ihn noch weiter. Du bist Artephius’ Hoffnung, Maz-Sherah. Er wusste von deinem Erscheinen. Er wusste alles darüber. Denkst du, du wärest seinen Klauen so einfach entkommen, um hierher zu gelangen? Er begehrt diese Maske ebenfalls.«
Bei ihren Worten schien mir mein gesamtes Leben im Geist durcheinander zu geraten. Ich konnte nicht begreifen, wie dies möglich sein sollte. Warum meine Mutter von dem Ritter in Rüstung vergewaltigt worden sein und nicht davon gesprochen haben sollte. Warum die Rätsel meiner Kindheit mir nicht von meinem Großvater erklärt worden waren, der in seiner
Jugend in der Wissenschaft und Magie der Druiden ausgebildet worden sein sollte.
»Dein Vater hätte es mir erzählt«, erwiderte ich. »Ich befreite ihn aus seiner Gruft. Er gab mir den Stab. Er kommt noch in Visionen zu mir. Er gab mir Macht, wie allen medhyanischen Vampyren.«
»Denkst du«, entgegnete sie, »ich würde meinen eigenen Vater und meine Schwestern einsperren, den Tempel der Lemesharra und all seine Leute vernichten – eine großartige Zivilisation, die in einem Erdbeben unterging und von den Trümmern einer Katastrophe zugedeckt wurde... Und dies, weil ich böse bin? Oder weil selbst der große Merod Al-Kamr das Wirken der Myrrydanai nicht verstand? Du erfülltest die Prophezeiung, in der es um das Verschlingen des letzten Priesters des Blutes ging, und doch begreifst du noch immer nicht die Bedeutung einer solchen Tat. Er befindet sich weiterhin in dir. Er hört uns sprechen. Er wartet darauf zurückzukehren. Du bist eine Schachfigur dieser Priester, Maz-Sherah. Du wurdest für ihre Kriege erschaffen. Solange du existierst, bedeutest du eine Bedrohung für diese Welt. Du bist eine Bedrohung für die Sterblichen. Du bist eine Bedrohung für die Erde selbst. Die Einzigen, für die du keine Bedrohung bedeutest, sind Artephius selbst... und Medhya. Sogar mein Vater wurde getäuscht. Er trachtet nach den Kriegen der Vampyre, die mit deiner Hilfe geführt werden sollen.«
»Die Große Schlange«, sagte ich. »Was ist mit ihr? Zuweilen spüre ich sie in meiner Nähe. Sie bewacht den Schleier.«
»Die Große Schlange
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