Die Kameliendame
sind, es schon wieder zur Seite zu legen, da sie fürchten, nur eine Verteidigungsrede des Lasters und der käuflichen Liebe zu finden. Das Alter des Autors ist zweifellos dazu geeignet, diese Befürchtung zu bekräftigen. Ich wünschte, wer so denkt, möge seinen Irrtum einsehen und in der Lektüre fortfahren, falls diese Furcht allein ihn daran hindern sollte.
Ich bin ganz einfach davon überzeugt, daß Gott für die Frau, die nicht zum Guten erzogen wurde, fast immer zwei Wege, die wieder zu ihm führen, bereithält: das Leid und die Liebe.
Beide sind mühselig, und die auf ihnen wandeln, stoßen sich die Füße wund und blutig, zerreißen sich die Hände, aber sie lassen gleichzeitig an den Dornen am Wege das Laster zurück und stehen endlich rein und ohne erröten zu müssen vor dem Herrn.
Alle, die diese tapferen Wanderinnen treffen, müssen sie ermutigen und allen Menschen von ihrer Begegnung erzählen, denn wenn sie es laut aussprechen, weisen sie damit auf den Weg hin.
Es kann sich nicht darum handeln, an den Anfang des Lebens zwei Tafeln zu stellen, auf denen der Hinweis »Der Weg zum Guten« und die Warnung »Der Weg zum Bösen« stehen und nun jedem Vorübergehenden zu sagen: Wähle! Man muß wie Christus denen, die auf Abwege gerieten, die Pfade vom zweiten zurück zum ersten zeigen, und es wäre gut, wenn diese Pfade zu Beginn nicht allzu beschwerlich wären oder allzu unbegehbar erschienen. Das Christentum predigt uns mit seinem wundervollen Gleichnis vom verlorenen Sohn Nachsicht und Verzeihen. Jesus war voller Liebe für die von menschlichen Leidenschaften verwundeten Seelen. Er linderte den Schmerz oft dadurch, daß er den Balsam zur Heilung den Wunden selbst entnahm. So sagte er zu Magdalena: »Es wird dir viel vergeben werden, weil du viel geliebt hast«, eine erhabene Verzeihung, die einen erhabenen Glauben erwecken muß. Warum wollen wir unversöhnlicher sein als Christus? Warum wollen wir hartnäckig die Haltung dieser Welt einnehmen, die sich unbarmherzig zeigt, um stark zu scheinen? Warum die blutenden Seelen zurückstoßen, aus deren Wunden, dem schlechten Blut eines Kranken vergleichbar, eine böse Vergangenheit ausströmt und die nur auf eine lindernde und heilende Freundeshand warten?
Ich wende mich an meine Generation, weil die unglückseligen Theorien des Herrn von Voltaire für uns nicht mehr gelten, und an alle jene, die mit mir begreifen, daß seit fünfzehn Jahren die Menschlichkeit einen ungeheuren Aufschwung erlebt. Die Lehre vom Guten und vom Bösen ist für immer abgetan. Der Glaube ist wieder erwacht, die Achtung vor heiligen Dingen ist wieder zurückgekehrt, und wenn die Welt auch nicht absolut gut wird, so wird sie doch besser werden. Die Bemühungen aller denkenden Menschen haben das gleiche Ziel, und alle, die guten Willens sind, haben den gleichen Grundsatz: Wir wollen gut sein, wir wollen rein sein, wir wollen wahrhaftig sein! Das Böse ist nur ein Wahn. Wir müssen mit Stolz das Gute verfechten und dürfen nie verzagen. Wir dürfen nicht die Frau verachten, die weder Mutter noch Schwester noch Tochter noch Gattin ist. Wir dürfen nicht Achtung und Familie, Nachsicht und Egoismus gleichsetzen. Denn im Himmel herrscht mehr Freude über einen reuigen Sünder als über hundert Gerechte, die nie gesündigt haben. Versuchen wir also, dem Himmel Freude zu bereiten. Er kann es uns vielfältig vergelten. Wir wollen das Almosen unseres Verzeihens denen schenken, die durch irdische Begierden gefallen sind, die vielleicht aber durch himmlische Güte gerettet werden können. Es verhält sich damit wie mit einem Heilmittel alter Frauen, die, wenn sie es uns empfehlen, sagen: Wenn es auch vielleicht nicht hilft, so kann es doch nicht schaden. Es mag sicher sehr kühn von mir erscheinen, all das aus den unbedeutenden Tatsachen, die ich hier berichte, abzuleiten. Ich tue es, weil ich glaube, daß in kleinen Dingen alles enthalten ist. Schon das Neugeborene birgt den Mann in sich. Das winzige Gehirn umschließt den kühnen Gedanken. Und das Auge, ein Punkt nur, erfaßt die Weiten des Himmels.
IV
Zwei Tage später war die Auktion abgeschlossen. Hundertfünfzigtausend Francs hatte sie eingebracht. Die Gläubiger teilten sich in zwei Drittel, die Familie, eine Schwester und ein kleiner Neffe erbten den Rest. Die Schwester traute ihren Augen nicht, als der Notar ihr schrieb, sie habe fünfzigtausend Francs geerbt.
Die Geschwister hatten sich sechs oder sieben Jahre lang nicht
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