Die Kathedrale des Meeres
heiraten und Kinder in die Welt setzen«, riet ihm Joan.
Arnau sah seinen Bruder an, doch dieser hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als Bartolomé ihm ins Wort fiel: »Denk nicht länger nach, Junge!«
»Ich werde nicht in den Orden eintreten, wenn du nicht heiratest«, beteuerte Joan noch einmal.
»Du würdest uns mit einer Heirat alle sehr glücklich machen«, sagte der Pfarrer.
»Die Zunft sähe es nicht gerne, wenn du dich weigertest und dein Bruder deswegen nicht seiner kirchlichen Berufung folgte.«
Dann sagte keiner mehr etwas. Arnau presste die Lippen aufeinander. Die Zunft! Jetzt hatte er keine Ausrede mehr.
»Und, Bruder?«, fragte Joan.
Arnau sah Joan zum ersten Mal mit anderen Augen: Er war inzwischen ein erwachsener Mann geworden. Wie hatte er das nicht bemerken können? Für ihn war er immer noch der lächelnde kleine Junge, der ihm die Stadt gezeigt hatte und mit baumelnden Beinen auf einer Kiste saß, während seine Mutter ihm mit der Hand übers Haar strich. Wie wenig hatten sie in den vergangenen vier Jahren miteinander gesprochen! Er selbst hatte immer gearbeitet, hatte Schiffe entladen, und wenn er abends nach getaner Arbeit erschöpft nach Hause kam, hatte er keine Lust zum Reden gehabt. Doch dies hier war nicht mehr der kleine Joanet von damals.
»Du würdest wirklich meinetwegen auf die Gelübde verzichten?« Plötzlich kam es ihm vor, als wären sie beide alleine.
»Ja, das würde ich.«
Alleine, nur Joan und er.
»Wir haben lange dafür gearbeitet …«
»Ja, ich weiß.«
Arnau stützte das Kinn auf und dachte eine Weile nach. Die Zunft. Bartolomé war einer der Zunftmeister. Was würden die anderen Bastaixos sagen? Er konnte Joan keinen Strich durch die Rechnung machen, nicht nach all der Mühe, die sie auf sich genommen hatten. Und außerdem: Was würde aus ihm werden, wenn Joan wegging? Er blickte zu Maria hinüber.
Bartolomé gab ihr einen Wink und das Mädchen trat schüchtern näher.
Arnau sah ein einfaches Mädchen mit lockigem Haar und sanftem Blick.
»Sie ist fünfzehn«, hörte er Bartolomé sagen, als Maria neben dem Tisch stand. Von den vier Männern beobachtet, verschränkte sie die Hände und sah zu Boden. »Maria!«, rief ihr Vater mahnend.
Das Mädchen blickte errötend zu Arnau, während es unsicher die Hände knetete.
Diesmal wich Arnau ihrem Blick aus. Bartolomé wurde unruhig, als er sein Zögern bemerkte. Das Mädchen seufzte. Weinte sie? Er hatte sie nicht beleidigen wollen.
»Einverstanden«, schlug er ein.
Joan erhob sein Glas und Bartolomé und der Pfarrer taten es ihm rasch nach. Auch Arnau ergriff sein Glas.
»Du machst mich sehr glücklich«, sagte Joan.
»Auf die Brautleute!«, rief Bartolomé.
Hundertsechzig Tage! Nach den Vorschriften der Kirche gab es hundertsechzig Fastentage im Jahr, und an jedem dieser Tage ging Aledis wie alle Frauen in Barcelona zum Strand gleich bei der Kirche Santa María, um auf einem der beiden Fischmärkte der gräflichen Stadt Fisch zu kaufen.
Wenn sie ein Schiff sah, blickte Aledis zum Ufer hinunter, wo die Lastschiffer die Waren ein- oder ausluden. Ein paar Mal hatte sie ihn gesehen, die Muskeln unter der Haut zum Bersten angespannt. Dann durchlief Aledis ein Schauder, und sie begann die Stunden bis zum Abend zu zählen, wenn ihr Mann schlief und sie in der Werkstatt mit ihm und ihrer Erinnerung allein sein konnte. Dank der Fastentage lernte Aledis den Tagesablauf der Bastaixos kennen. Wenn kein Schiff zu entladen war, schleppten sie Steine nach Santa María. Nach der ersten Tour löste sich die Reihe der Bastaixos auf, und jeder machte den Rückweg für sich, ohne auf die anderen zu warten.
An diesem Morgen war Arnau unterwegs, um einen weiteren Stein zu holen. Alleine. Es war Sommer und er hielt die Capçana in der Hand. Aledis sah ihn mit nacktem Oberkörper am Fischmarkt vorübergehen. Der Schweiß, der seinen Körper bedeckte, glänzte in der Sonne, und er lächelte jedem zu, der ihm begegnete. Aledis verließ die Schlange, in der sie anstand. Es lag ihr auf den Lippen, seinen Namen zu rufen. Doch es ging nicht. Die Frauen in der Schlange sahen sie an. Die Alte, die hinter ihr anstand, zeigte auf den freien Platz, und Aledis ließ sie vor. Wie sollte sie diese ganzen neugierigen Klatschweiber von sich ablenken? Sie täuschte eine Übelkeit vor, und jemand trat zu ihr, um ihr zu helfen. Doch Aledis lehnte ab. Die Frauen lächelten. Sie würgte erneut und lief dann davon, während einige Schwangere
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