Die Kathedrale des Meeres
Mar vorsah, zogen Arnau und der zweite Konsul, die Mitglieder des Rats der Hundert und die Vornehmen der Stadt unter dem Beifall des Volkes zur Börse, dem Sitz des Seekonsulats. Diese befand sich in einem neu errichteten Gebäude in unmittelbarer Ufernähe, nur wenige Schritte von der Kirche Santa María und Arnaus Wechselstube entfernt.
Die Missatges, die Soldaten des Seekonsulats, standen Spalier. Das Gefolge betrat das Gebäude und die Ratsherren von Barcelona übergaben den neu gewählten Konsuln das Gebäude. Gleich nachdem die Ratsherren gegangen waren, begann Arnau mit der Wahrnehmung seiner neuen Aufgaben. Ein Händler forderte Entschädigung für eine Schiffsladung Pfeffer, die ein junger Hafenschiffer beim Entladen ins Wasser hatte fallen lassen. Der Pfeffer wurde in den Gerichtssaal gebracht, und Arnau überzeugte sich persönlich davon, dass er verdorben war.
Er hörte den Händler und den Hafenschiffer an sowie die Zeugen, die beide mitgebracht hatten. Der Hafenschiffer war ihm persönlich bekannt. Es war noch nicht lange her, dass er ein Darlehen in seiner Wechselstube aufgenommen hatte. Er hatte erst kürzlich geheiratet und Arnau hatte ihm gratuliert und ihm alles Gute gewünscht.
»Es ergeht folgendes Urteil«, sagte er, und seine Stimme zitterte. »Der Hafenschiffer muss den Wert des Pfeffers ersetzen. So verlangt es …« Arnau sah in dem Buch nach, das ihm der Schreiber hinhielt. »So verlangt es Kapitel 72 des Seehandelsrechts.« Der junge Mann hatte in der Kirche Santa María geheiratet, wie es sich für einen Mann der See gehörte. Ob seine Frau schwanger war? Arnau erinnerte sich an das Leuchten in den Augen der jungen Frau, als er ihnen gratuliert hatte. Er räusperte sich.
»Hast du …« Er räusperte sich erneut. »Hast du Geld?«
Arnau sah den Jungen an. Ob das Darlehen, das er ihm gewährt hatte, für die Wohnung gewesen war? Für die Ausstattung? Für die Möbel oder vielleicht für das Boot. Das Nein des Jungen tat ihm in den Ohren weh.
»Hiermit verurteile ich dich …« Der Kloß in seinem Hals hinderte ihn beinahe am Weitersprechen. »Ich verurteile dich zu Kerkerhaft, bis du die gesamte Schuld beglichen hast.«
Wie sollte er zahlen, wenn er nicht arbeiten konnte? Arnau vergaß, mit dem Holzhämmerchen auf den Tisch zu schlagen. Die Missatges machten ihn mit Blicken darauf aufmerksam, und er klopfte. Der Junge wurde in das Verlies des Konsulats gebracht. Arnau sah zu Boden.
»Es muss sein«, sagte der Schreiber zu ihm, als alle Beteiligten den Gerichtssaal verlassen hatten.
Arnau schwieg. Er saß zur Linken des Schreibers in der Mitte des riesigen Tischs, der den Raum beherrschte.
»Schau hier«, sagte der Schreiber und schob ihm ein weiteres Buch hin, die Satzung des Konsulats. »Hier steht bezüglich der Kerkerstrafen: ›So zeige man seine Macht, vom Höheren zum Niederen.‹ Du bist Seekonsul und musst deine Macht zeigen. Unser Wohlergehen, das Wohlergehen unserer Stadt hängt davon ab.«
An jenem Tag musste er niemanden mehr ins Gefängnis schicken, an vielen anderen jedoch schon. Die Rechtsprechung des Seekonsuls umfasste den gesamten Handel – Preise, die Heuer der Seeleute, die Sicherheit der Schiffe und der Waren – und alles, was mit der See zu tun hatte. Durch sein Amt wurde Arnau eine Autorität, die nicht dem Stadtrichter unterstand. Er fällte Urteile, beschlagnahmte Waren, pfändete Schuldner, schickte Leute ins Gefängnis. Dabei stand ihm eine eigene bewaffnete Truppe zur Verfügung.
Während Arnau gezwungen war, junge Hafenschiffer einzukerkern, ließ Elionor Felip de Ponts kommen, einen Ritter, den sie aus der Zeit ihrer ersten Ehe kannte. Er war schon einige Male bei ihr vorstellig geworden, damit sie ein gutes Wort für ihn bei Arnau einlegte, dem er eine beträchtliche Summe schuldete, die er nicht zurückzahlen konnte.
»Ich habe versucht, was in meiner Macht stand, Don Felip«, log Elionor, als er vor ihr stand, »doch es war schlichtweg unmöglich. In Kürze werden Eure Schulden gepfändet.«
Felip de Ponts, ein großer, kräftiger Mann mit rotem Bart und kleinen Äuglein, wurde blass, als er die Worte seiner Gastgeberin hörte. Wenn man seine Schulden pfändete, würde er sein weniges Land verlieren … und sogar sein Schlachtross. Ein Ritter ohne Land, das ihn unterhielt, und ohne Pferd, um in den Krieg zu ziehen, konnte sich nicht länger als Ritter bezeichnen.
Felip de Ponts kniete nieder.
»Ich flehe Euch an, werte Dame«, bat
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