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Die Katze im Taubenschlag

Die Katze im Taubenschlag

Titel: Die Katze im Taubenschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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abfällig.
    »Überhaupt nicht verklemmt«, erklärte Miss Rowan, die nicht nur Volkswirtschaft, sondern auch Psychologie studiert hatte. »Sie folgen ihren gesunden Instinkten, sie haben keine Komplexe.«
    »Giuseppe war sehr beeindruckt, als er hörte, dass ich Lehrerin in Meadowbank bin«, sagte Miss Blake. »Er benahm sich daraufhin höchst respektvoll. Seine Kusine würde gern herkommen, aber Miss Bulstrode scheint im Augenblick nicht daran interessiert zu sein.«
    »Meadowbank genießt allgemein großes Ansehen«, stellte Miss Rowan zufrieden fest. »Die neue Turnhalle macht wirklich einen guten Eindruck; ich hätte nicht geglaubt, dass sie rechtzeitig fertig sein würde.«
    »Miss Bulstrode hat darauf bestanden«, erwiderte Miss Blake.
    Gleich darauf stieß sie ein erstauntes »Oh!« aus.
    Die Tür der Turnhalle wurde mit einem Ruck aufgestoßen, und eine knochige, rothaarige junge Person kam heraus. Sie warf ihnen einen unfreundlichen Blick zu und ging schnell fort.
    »Das muss die neue Turnlehrerin sein«, sagte Miss Blake kopfschüttelnd. »Wie ungeschliffen.«
    »Scheint keine sehr sympathische neue Kollegin zu sein«, meinte Miss Rowan. »Schade, Miss Jones war so freundlich und umgänglich.«
    »Warum hat sie uns eigentlich so wütend angesehen?«, fragte Miss Blake gekränkt…
     
    Die Fenster von Miss Bulstrodes Wohnzimmer gingen in zwei verschiedene Richtungen; von dem einen überblickte man die kiesbestreute Einfahrt und die dahinterliegende Rasenfläche, von dem anderen sah man auf eine Rhododendronhecke an der Rückseite des Hauses. Das Zimmer war eindrucksvoll, aber Miss Bulstrode selbst war noch eindrucksvoller. Sie war groß und wirkte sehr vornehm; ihre grauen humorvollen Augen passten zu dem sorgfältig frisierten Haar und dem festen Mund. Der Erfolg der Schule beruhte ausschließlich auf der Persönlichkeit ihrer Leiterin. Das Internat war eine der teuersten Schulen in England, aber es lohnte sich, das hohe Schulgeld zu bezahlen. Die Eltern wussten, dass ihre Töchter in ihrem Sinn, und auch im Sinn von Miss Bulstrode, erzogen wurden – das Ergebnis war im Allgemeinen mehr als zufrieden stellend. Miss Bulstrode konnte es sich leisten, genügend Personal anzustellen, und die Lehrerinnen fanden Zeit, sich mit den individuellen Problemen und Begabungen ihrer Schülerinnen zu beschäftigen und gleichzeitig eine straffe Disziplin aufrechtzuerhalten. Disziplin ohne Zwang und Drill – das war Miss Bulstrodes Motto. Sie war der Ansicht, dass die Einhaltung gewisser Regeln jungen Menschen ein Gefühl der Sicherheit gab, während die übertriebene Disziplin des Kasernenhofs nur schaden konnte. Sie hatte die verschiedenartigsten Schülerinnen. Es gab unter ihnen viele Ausländerinnen, oft sogar ausländische Prinzessinnen. Die jungen Engländerinnen waren größtenteils reiche Mädchen aus guter Familie, die nicht nur in Kunst und Wissenschaften, sondern auch im Umgang mit ihren Mitmenschen ausgebildet wurden. Nach Verlassen der Schule mussten sie in der Lage sein, sich an jeder Unterhaltung mit der notwendigen Sachkenntnis zu beteiligen. Einige der jungen Mädchen legten Wert darauf, hart zu arbeiten, um sich auf die Examen vorzubereiten, die für ein Universitätsstudium erforderlich waren, während andere in den gewöhnlichen Mädchenschulen nicht recht vorangekommen waren. Aber Miss Bulstrode hatte gewisse Prinzipien; sie nahm keine geistig zurückgebliebenen oder schwer erziehbaren Mädchen auf, und sie zog es vor, Schülerinnen zu haben, deren Eltern sie mochte. Wie jede Lehrerin legte sie natürlich Wert darauf, möglichst viel versprechende und intelligente Kinder zu erziehen. In Meadowbank gab es Schülerinnen jeden Alters, fast erwachsene junge Damen, die nur noch den letzten Schliff erhalten sollten, und eine Reihe von kleinen Mädchen, deren Eltern oft im Ausland lebten. Für diese Kinder besorgte Miss Bulstrode auf Wunsch auch einen geeigneten Ferienaufenthalt.
    Über alle wichtigen Fragen hatte allein Miss Bulstrode zu entscheiden. Jetzt stand sie beim Kaminsims, während Mrs Gerald Hope mit weinerlicher Stimme über ihre Tochter sprach. Miss Bulstrode hatte ihre Besucherin, in weiser Voraussicht, nicht aufgefordert, sich zu setzen.
    »Henrietta ist ein sensibles Kind – hypersensibel, wie unser Hausarzt feststellte, und…«
    Miss Bulstrode nickte zustimmend, obwohl sie am liebsten geantwortet hätte: Wissen Sie wirklich nicht, dass jede Mutter ihr Kind für besonders empfindsam

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