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Die Keltennadel

Die Keltennadel

Titel: Die Keltennadel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Dunne
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1
    E instimmiger Gesang erklang im Wechsel mit vielschichtig verwobenen Passagen. Mozart hatte die Stimmen im Kopf aus der Sixtinischen Kapelle geschmuggelt und – seine Exkommunikation riskierend – aus dem Gedächtnis niedergeschrieben:
    Miserere mei, Deus… Erbarme Dich meiner, o Herr…
    Und nun lauschte ihnen der Priester über Kopfhörer.
    Pfarrer Liam Lavelle lag mit geschlossenen Augen auf seiner Couch und sah im Geiste Weihrauchschwaden über den Sixtinischen Altar wabern, er sah die Seelen der Toten auferstehen und die Verdammten in die Hölle stürzen. Die quecksilbrige Stimme eines knabenhaften Soprans erklomm das hohe C, so wie es seinerzeit aus der Kehle eines Kastraten im päpstlichen Chor gedrungen sein mochte:
    Erbarme Dich meiner, o Herr…
    Und von weitem Glockenläuten. Das Läuten einer Kirchenglocke hinter den Chorstimmen. Pfarrer Lavelle öffnete die Augen und starrte an die kahle Decke seines Wohnzimmers. Hier stimmte etwas nicht. Die Glocke war nicht auf der CD. Er nahm den Kopfhörer ab, und plötzlich war es still.
    Dann läutete die Glocke erneut. In seiner Pfarrkirche, weiter unten im Ort. Er sah auf die Uhr. Ein Uhr fünfzehn. Er wälzte sich von der Couch, wobei er seinen Gin Tonic auf dem Teppich umstieß. Mist. Er zog Schuhe an und trat in den Flur. Wieder erklang die Glocke, kein anhaltendes Läuten, sondern nur ein einzelner Schlag. Dieses Theater hatten sie viel zu oft. Sie würden auf Automatik umstellen müssen. Dürfte der letzte von außen zugängliche Glockenturm in der ganzen Diözese sein. Pfarrer Lavelle zog seine Lederjacke an, vergewisserte sich, dass er die Schlüssel eingesteckt hatte, und öffnete die Haustür.
    Es war eine raue, windige Nacht. Er schlug den Kragen hoch und ging an seinem Wagen vorbei durch das offene Tor, das auf die Dorfstraße von Kilbride führte. Erst vor einer Woche hatte sich wieder ein Haufen Besoffener den Spaß gemacht, am Glockenseil zu schwingen, meist waren es gelangweilte Teenager aus der Gegend auf dem Heimweg vom Pub. Aber in einer solchen Nacht? Und die Pubs hatten längst geschlossen.
    Als er die Straße überquerte, riss ein eisiger Windstoß seine Jacke auf und ließ ihn bis ins Mark frösteln. Die Bö wehte einen weiteren Glockenschlag heran, dessen Nachhall jäh vom Wind abgeschnitten und davongetragen wurde. Pfarrer Lavelle zog den Reißverschluss seiner Jacke zu und vergrub die Hände in den Taschen. Eine Coladose klapperte an ihm vorbei, Schaufensterläden schepperten und ächzten. Noch fünfzig Meter bis zur Kirche. Es läutete noch einmal. War etwa der Wind schuld? Aber immer nur ein Schlag, immer die gleiche Pause zwischen den Schlägen… wie bei der Ankündigung… eines Todes – die Totenglocke! Lavelle verlangsamte seinen Schritt, als er sich dem offenen Seitentor näherte, und blickte die Straße auf und ab. Niemand zu sehen. Er trat aus dem Licht der schaukelnden Straßenlampen in den Friedhof.
    Hinter dem Westtor bog er vorsichtig auf den Kiesweg zwischen der Kirche und der Mauer des angrenzenden Parkplatzes. Der Weg führte zum Glockenturm und dem Eingang neben Sakristei und Altar.
    »Wer ist da?«, rief er in die Dunkelheit. Nur der Wind antwortete.
    Dann bemerkte er einen Lichtschein in den Fenstern. Keine Reflexion, es schien kein Mond. Er tastete sich mit der rechten Hand an den Steinquadern des Gebäudes entlang. Langsam fuhren seine Finger über die abgeschrägte Oberfläche, zuckten aber jäh zurück, als sie auf eine feuchte, schwammige Stelle stießen. Lavelle unterdrückte einen irrationalen Schrecken. Nur ein Mooskissen. Er tastete sich weiter bis zu einer Nische in der Gebäudewand vor, und als er eine Hand an die Tür legte und mit der anderen nach den Schlüsseln griff, ging die Tür auf.
    Überrascht sah Pfarrer Liam Lavelle den Hochaltar vor sich in hellem Kerzenschein erstrahlen. Brennende Kandelaber standen in Reihen auf den Stufen, während hinter dem Altartisch sämtliche hohen Kerzen von Haupt und Seitenaltären zu einem flammenden Halbkreis aufgestellt waren. Ihre flackernden Lichtzungen erzeugten die Illusion, als bewegten sich die Marmorstatuen auf dem Altarbild darüber.
    Er trat in den Mittelgang und überflog mit einem raschen Blick das Kirchenschiff, die Bankreihen im Halbdunkel und die Finsternis dahinter. Als er sich dem Kommunionsgitter zuwandte, glaubte er kurz, eine der Statuen der Länge nach auf dem Altar liegen zu sehen. Doch als er den Lichtkranz durchschritten hatte,

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