Die Kiliansverschwörung: Historischer Roman (German Edition)
brach er zusammen und hauchte sein Leben aus,
furchtlos und unverzagt, wie er in seinem schwindenden Bewusstsein
registrierte.
Er hatte keine Angst mehr vor dem Tod, jetzt nicht
mehr.
Er hatte den Tod gesehen.
*
»Wir sind da!«
Als die mitternächtliche Prozession die Kirche ›Sankt
Sebastian vor den Mauern‹ erreichte, hob der Mann an der Spitze des Zuges die
Hand. Er war knapp 50, groß, hager und mit einem dunklen Kapuzenmantel
bekleidet. Rein äußerlich war er von den Gefährten somit nicht zu
unterscheiden. Dies traf, wenn überhaupt, jedoch nur auf seine Kleidung zu. Die
scharf geschnittenen, kantigen Züge, vor allem aber der durchdringende Blick verrieten
den befehlsgewohnten Kurienkardinal. Ein Eindruck, der durch seinen barschen
Tonfall bestätigt wurde: »Folgt mir!«, bedeutete er seinen Gefährten und hielt
es nicht einmal für nötig, sich umzudrehen.
Nur ein paar Schritte, und die Prozession der Kapuzenmänner
hatte ihr Ziel erreicht. Der Mann an der Spitze des Zuges reichte seine Fackel
nach hinten, öffnete seinen Umhang und kramte einen Schlüssel hervor, mit dem
er die schmiedeeiserne Pforte am Ende der Treppenflucht öffnete.
Die Tür sah unscheinbar aus, nicht viel anders als bei
den Grabmälern, die es in dieser Gegend zu Dutzenden gab. Und doch führte sie
nicht etwa in eine Gruft, sondern zum sichersten Versteck weit und breit. Kaum
einer der Männer wusste davon, wenn überhaupt, dann vom Hörensagen.
Nicht so ihr Anführer, denn er war nicht zum ersten
Mal hier. Die Gegend war ihm bestens bekannt, so vertraut wie die päpstliche
Kurie, an der er seinen Dienst als Kardinaldiakon versah. Weit besser als über
der Erde fand er sich allerdings in den Katakomben zurecht. Wenn nötig, sogar
mit verbundenen Augen. Für seine Zwecke waren sie geradezu ideal, sicherer als
Abrahams Schoß. Kein Winkel, den er nicht kannte, kein Stollen, den er nicht
erkundet, kein Fluchtweg, den er nicht auf seine Tauglichkeit hin überprüft
hätte. Über das Gesicht des Kardinaldiakons huschte ein zynisches Lächeln. Was
immer am heutigen Abend geschah, kein Mensch würde je davon erfahren. Kein
Mensch, schon gar nicht einer der Ohrenbläser, von denen es in Rom nur so
wimmelte.
Und selbst wenn, dann wäre sein Leben verwirkt.
Der hagere Körper des Kardinaldiakons straffte sich.
Dies war die Nacht, in der er seine Pläne in die Tat umsetzen würde. Die Nacht
der Nächte. Das Ende monatelangen, nervenaufreibenden Wartens. Und somit auch
der Anfang vom Ende all derjenigen, welche die Würde des Heiligen Stuhles mit
Füßen traten. Nur noch ein paar Anweisungen an die Getreuen, eine aufrüttelnde
Rede – und ein Sturm würde entfacht, der seinesgleichen suchte.
Ein diskretes Räuspern in seinem Rücken schreckte
Kardinaldiakon Oddo di Colonna auf. Gewiss doch – die Tür! Ganz gegen seine
Gewohnheit machte sich so etwas wie Nervosität in ihm breit, während der
Schlüssel in dem eisenbewehrten Schloss zu quietschen und zu knarren begann.
Ein paar Augenblicke später war es geschafft. Nach
außen hin die Ruhe selbst, trat der Kardinaldiakon zur Seite und ließ die
Gefährten passieren. Kaum war dies geschehen, war die Pforte wieder
geschlossen, verriegelt und der Schlüssel unter seinem Umhang verschwunden.
Den nach unten führenden, höchstens sieben Fuß hohen
Gang vor Augen, holte der Kardinaldiakon tief Luft. Dann setzte er sich an die
Spitze des Zuges und bedeutete den Gefährten, ihm zu folgen.
Je weiter er sich vorwagte, desto rascher verschwand
seine anfängliche Nervosität. Umso erdrückender war aber auch der Geruch von
Moder, Fledermauskot und Verwesung, der ihm von überall her entgegenschlug. Der
Kardinallegat ließ sich jedoch nichts anmerken und setzte seinen Weg unbeirrt
fort. Das Licht der Fackeln verzerrte seine hagere Gestalt auf groteske Weise
und ließ ihn wie einen vielköpfigen, dem Erdreich entstiegenen Dämon
erscheinen.
Er hatte sie getäuscht, alle miteinander. Mit List,
Tücke und einem Ausmaß an Verschlagenheit, das ihn bisweilen selbst erstaunte.
Er war rücksichtslos gewesen, gerissen bis zur Skrupellosigkeit. Hauptsache,
seine Pläne würden Früchte tragen. Und wenn ihn nicht alles täuschte, sah es
momentan ganz danach aus.
»Nach links!«, kommandierte der Kardinaldiakon in
barschem Ton. Die Gefährten gehorchten ihm prompt und ohne Zögern. Auf sie, die
Treuesten der Treuen, konnte er sich hundertprozentig verlassen. Egal, was
passieren würde. Dessen
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