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Die Kinder von Avalon (German Edition)

Die Kinder von Avalon (German Edition)

Titel: Die Kinder von Avalon (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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schon zu spät ist.«
    »Es ist noch nicht zu spät«, sagte Llew. »Aber die Zeit drängt. Folgt mir.«
    Das Licht begleitete sie hinab in die Tiefe, die lange steinerne Treppe hinunter. Kein goldener Dunst lag mehr über dem Vorraum der Krypta. Doch alles war noch da, wie sie es in Erinnerung hatten: die Säulenreihen, die niedrigen Gewölbe. Und der steinerne Katafalk mit seinem von Säulen getragenen Baldachin.
    Niemand war zu sehen. Keine Elbenmaiden in weißen Gewändern, die sich um den sterbenden König kümmerten und ihm den Fieberschweiß von der Stirn tupften. Die Kerzen waren heruntergebrannt und flackerten nur noch matt.
    »Der König«, flüsterte Gunhild. In der Stille des Raumes glaubte man wirklich, in einer Grabkammer zu sein. »Was ist mit Arthur?«
    Er lag auf dem harten Bett, lag da wie tot. Die Haut seines Gesichts und seiner Hände war wächsern bleich, von einer fast durchscheinenden Blässe. Seine Augen waren eingefallen; die Haut der Lider spannte sich um die darunter liegenden Augäpfel. Um Jochbein und Wangen zeichneten sich die Knochen des Schädels ab. Kein Muskel zuckte in dem totenblassen Gesicht.
    »Was soll ich tun?«, fragte sie.
    »Gib ihm zu trinken.«
    Aber sie wusste es schon selbst, in dem Augenblick, als sie die Worte ausgesprochen hatte. Sie nahm den Kelch, der alle Abenteuer und Gefahren unbeschadet überstanden hatte, in die Hand. Der Stein in seinem Knauf funkelte in einem überirdischen Licht.
    Ihm zu trinken geben. Aber was? Und …
    »Wie?«
    »Vertrau dem Gral. Er wird dich leiten.«
    In diesem Augenblick sah sie, sah zu ihrem Staunen, dass der Gral voll war, voll bis zum Rand, mit einem Wein, der klarer war als Wasser, heil wie Tränen, erfüllt von Licht. Sie nahm den Kelch in beide Hände und trat an den schlafenden König heran. Dann hob sie mit der Linken seinen Kopf, und mit der Rechten führte sie den Gral an die Lippen des Schlafenden.
    »Das Wasser des Lebens. Der Kelch des Heils. Der Stein des Lichts.«
    Es war wie ein Gesang, der von den Wänden zurückgeworfen wurde und in den Gewölben widerhallte. Und plötzlich war es, als wäre der ganze Raum erfüllt von Gestalten und Wesen, die sich dicht an dicht drängten, um Zeuge dieses Augenblicks zu werden. Merlin war da und die Ritter der Tafelrunde, Gawain und Galahad und Tristam, aber auch die anderen, schattenhaften Gottheiten, die hinter ihnen standen. Da war der Schmied, rot wie Feuersglut, der auf seinem Amboss das Schicksal der Welt schmiedet. Der Herr und die Herrin der Fruchtbarkeit, die segnend über die grünenden Felder schreiten. Da war der dunkle Gott, der Herr der Lügen, der doch stets durch seine Taten zum höheren Ruhme der Schöpfung beiträgt. Da war der Trickser, der Zauberer, der Schamane vom Anbeginn der Welt, der, weder schwarz noch weiß, weder gut noch böse, immer zugleich ein Teil der Außenwelt und der Innenwelt ist. Und hinter ihnen, eine gewaltige, undeutliche Präsenz, der Schöpfer von allem, unbegreiflich und fremd und doch gegenwärtig in jedem, der sich für den anderen opfert. Und eine riesige Schar anderer Wesen war dort, vielfältiger und größer, als der menschliche Geist sie erfassen kann, Gestalten aus den Mythen aller Zeiten und Völker, umstanden den schlafenden König, alle verschieden und doch eins.
    Ein Tropfen aus dem Gral berührte die Lippen des Königs.
    In demselben Augenblick ging eine Verwandlung mit ihm vor, die so unbeschreiblich war und schön, dass man sie nicht in Worte fassen kann. Das tote Fleisch füllte sich wieder mit Leben. Die bleichen Lippen wurden rot. Wärme durchzog die erloschenen Wangen. Die pergamentene Haut wurde rosig und frisch. Das gestockte Blut in den Adern begann wieder zu pulsieren; eine Ader an seinem Halse pochte. Die starren Finger der Hände, die erkaltet auf dem metallenen Harnisch lagen, wurden mit einem Mal wieder lebendig und warm.
    Unter den geschlossenen Lidern zuckten die Augen, als träume der Schlafende. Er öffnete den Mund.
    »Ist … es … Zeit?«
    Gunhild wurde plötzlich von einer unendlichen Liebe zu der schlafenden Gestalt erfasst, zu ihm, der so viel gewagt und so viel verloren hatte und doch, dem Tod näher als dem Leben, die Hoffnung niemals aufgab. Denn er wartete auf den Tag, an dem er wiederkehren würde, um den Menschen das Heil zu bringen, das ihnen von Anfang an bestimmt war. Und das würde der Tag sein, an dem die Herrschaft der alten Götter zu Ende ging.
    »Nein, mein König«, sagte sie leise.

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