Die Klinge der Träume
nackt ausgezogen und kunstvoll gefesselt hatte, war sie neunmal wegen läppischer Vergehen geprügelt worden, die in Sevannas Augen ernst waren. Die letzten Striemen waren noch nicht wieder verblasst, und sie hatte nicht vor, sich durch Sorglosigkeit die nächsten einzubrocken.
Sie hoffte, dass Sevanna sie durch die Nacht in der Kälte für gezähmt hielt. Nur Rolan und seine Kohlenpfannen hatten ihr Leben gerettet. Sie hoffte, dass sie noch nicht gezähmt war. Spielte man zu lange etwas vor, konnte es irgendwann zur Wahrheit werden. Sie war noch keine zwei Monate Gefangene, und doch konnte sie sich nicht mehr daran erinnern, vor genau wie vielen Tagen sie gefangen genommen worden war. Manchmal kam es ihr so vor, als würde sie das weiße Gewand schon ein Jahr lang oder länger tragen. Manchmal fühlten sich der breite Gürtel und der Kragen aus flachen goldenen Gliedern ganz normal an. Das jagte ihr Angst ein. Sie klammerte sich inbrünstig an die Hoffnung, bald zu entkommen. Sie musste entkommen. Bevor Perrin sie einholte und versuchte, sie zu retten. Warum hatte er sie noch nicht eingeholt? Die Shaido kampierten nun schon lange Zeit vor Maiden. Er würde sie nicht aufgegeben haben. Ihr Wolf würde kommen und sie retten. Sie musste vorher entkommen, bevor er bei dem Versuch zu Tode kam. Bevor sie nicht länger nur so tat.
»Wie lange wollt Ihr Galina Sedai noch bestrafen, Therava?«, wollte Sevanna wissen und sah die Aes Sedai voller Unmut an. Therava saß im Schneidersitz auf einem blauen, mit Troddeln geschmückten Kissen vor ihr, kerzengerade aufgerichtet und streng. »Gestern Abend hat sie mein Badewasser zu heiß gemacht, und sie ist so voller Striemen, dass ich befehlen musste, sie auf die Fußsohlen zu schlagen. Das ist nicht sehr effektiv, wenn sie noch laufen soll.«
Faile hatte es vermieden, Galina anzusehen, seit Therava sie mit ins Zelt gebracht hatte, aber bei der Erwähnung ihres Namens glitt ihr Blick unwillkürlich zu der Frau. Galina kniete aufrecht in der Mitte zwischen den beiden Aiel, leicht zur Seite geneigt, auf ihren Wangen waren bräunliche Blutergüsse zu sehen, ihre Haut war feucht und glitschig von dem unablässigen Regen, durch den sie auf dem Hinweg gegangen war, ihre Füße und Knöchel waren schlammverschmiert. Sie trug nur ihren goldenen, mit Feuertropfen besetzten Kragen und den Gürtel, und sie erschien nackter als nackt. Von ihrem Haar und ihren Brauen waren nur vereinzelte Stoppel übrig geblieben. Man hatte ihr mit der Einen Macht jedes Haar vom Körper gebrannt. Faile hatte davon gehört, genau wie man die Aes Sedai für die erste Prügelstrafe an den Knöcheln aufgehängt hatte. Darüber hatten sich die Gai'schain tagelang unterhalten. Nur die Hand voll, die ihr altersloses Gesicht als das erkannten, was es war, glaubten noch immer, dass sie eine Aes Sedai war, und einige von ihnen hatten die gleichen Zweifel, die auch Faile plagten, seit sie eine Aes Sedai unter den Gai'schain gefunden hatte. Schließlich hatte sie das richtige Gesicht und den Ring, aber warum sollte sich eine Aes Sedai so von Therava behandeln lassen? Faile hatte sich das schon oft gefragt, ohne eine Antwort zu finden. Sie sagte sich immer wieder, dass Aes Sedai oft etwas aus Gründen taten, die niemand sonst verstehen konnte, aber das war nicht sehr befriedigend.
Was auch immer Galina für Gründe hatte, solche Quälereien zuzulassen, jetzt waren ihre Augen weit aufgerissen und voller Angst auf Therava gerichtet. Sie keuchte so sehr, dass ihre Brüste bebten. Ihre Angst war berechtigt. Jeder, der an Theravas Zelt vorbeiging, konnte drinnen Galina um Gnade winseln hören. Länger als eine halbe Woche hatte Faile die Aes Sedai immer wieder auf irgendeinem Botengang sehen können, wie sie so haarlos und bekleidet wie jetzt mit vor Panik verzerrtem Gesicht so schnell rannte, wie sie konnte, und jeden Tag fügte Therava den Striemen, die sich von Galinas Rücken bis zu den Kniekehlen hinunterzogen, noch ein paar weitere hinzu. Sobald sie zu heilen anfingen, frischte Therava sie auf. Faile hatte Shaido murmeln hören, dass man Galina zu streng behandelte, aber niemand würde sich mit einer Weisen Frau anlegen.
Therava, die fast so groß wie die meisten Aielmänner war, zupfte mit klirrenden goldenen und elfenbeinernen Armreifen das dunkle Schultertuch zurecht und betrachtete Galina, wie ein blauäugiger Adler eine Maus betrachtete. Ihre Halsketten, ebenfalls aus Gold und Elfenbein, wirkten im Vergleich zu
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