Die Klinge der Träume
Sevannas opulenter Pracht schlicht, ihre dunklen Wollröcke und die weiße /l/go‹ie-Bluse sogar schäbig, und doch fürchtete Faile Therava viel mehr als Sevanna. Sevanna ließ sie ja vielleicht wegen eines kleinen Fehlers bestrafen, aber Therava konnte sie aus einer Laune heraus töten oder verstümmeln. Und sie würde es mit Sicherheit tun, wenn Failes Fluchtversuch scheiterte. »Solange auf ihrem Gesicht der kleinste blaue Fleck zu sehen ist, so lange wird auch der Rest von ihr blau sein. Ich habe ihre Vorderseite in Ruhe gelassen, damit sie für ihre Verfehlungen bestraft werden kann .« Galina fing an zu zittern. Stumme Tränen perlten ihre Wangen hinunter.
Faile wandte den Blick ab. Es war qualvoll, sich das anzusehen. Selbst wenn es ihr gelingen sollte, den Eidstab aus Theravas Zelt zu holen, konnte ihr die Aes Sedai überhaupt noch bei der Flucht helfen? Sie sah in jeder Hinsicht völlig gebrochen aus. Das war ein harter Gedanke, aber ein Gefangener musste vor allen Dingen praktisch denken. Würde Galina sie verraten, in dem Versuch, sich von den Bestrafungen freizukaufen? Sie hatte damit gedroht, sie zu verraten, falls Faile nicht den Stab besorgte. Es war Sevanna, die an Perrin Aybaras Ehefrau interessiert sein würde, aber Galina sah verzweifelt genug aus, um alles zu versuchen. Faile betete für die Frau, damit sie Kraft zum Durchhalten fand. Natürlich plante sie eine Flucht auf eigene Faust, für den Fall, dass Galina ihr Versprechen nicht hielt und sie bei ihrer Abreise nicht mitnahm, aber es würde für alle Beteiligten so viel einfacher und sicherer sein, wenn sie es konnte. Oh, beim Licht, warum hatte Perrin sie noch nicht gefunden? Nein! Sie musste sich konzentrieren.
»So ist sie nicht besonders eindrucksvoll«, murmelte Sevanna und schaute finster in ihren Weinpokal. »Nicht mal der Ring lässt sie wie eine Aes Sedai aussehen.« Sie schüttelte gereizt den Kopf. Aus einem Grund, den Faile nicht verstand, war es Sevanna außerordentlich wichtig, dass jeder wusste, dass Galina eine Schwester war. Sie hatte sogar angefangen, sie mit diesem Ehrentitel anzusprechen. »Warum seid Ihr so früh hier, Therava? Ich habe noch nicht gegessen. Wollt Ihr Wein haben?«
»Wasser«, sagte Therava energisch. »Und was die frühe Stunde angeht, die Sonne hat den Horizont fast schon hinter sich gelassen. Ich habe gefrühstückt, bevor sie aufging. Ihr werdet so träge wie ein Feuchtländer, Sevanna.«
Die Gai'schain Lusara, eine vollbusige Domani, füllte rasch einen Pokal aus der silbernen Wasserkanne. Sevanna schien sich über die Beharrlichkeit der Weisen Frau, nur Wasser zu trinken, zu amüsieren, aber sie hatte immer welches da. Alles andere wäre auch eine Beleidigung gewesen, die selbst sie zu vermeiden gesucht hätte. Die kupferhäutige Domani war eine Kauffrau und schon weit in den mittleren Jahren, aber die paar weißen Haare inmitten der schwarzen, die bis unterhalb ihrer Schulter fielen, hatten nicht ausgereicht, um sie zu retten. Sie war eine atemberaubende Schönheit, und Sevanna sammelte die Reichen, Mächtigen und Schönen, nahm sie sich auch dann, wenn sie die Gai'schain von anderen waren. Es gab so viele Gai'schain, dass sich nur wenige beschwerten, wenn sie einen verloren. Lusara machte einen anmutigen Knicks und verbeugte sich, um Therava auf ihrem Kissen das Tablett anzubieten, alles so, wie es sich gehörte, aber auf dem Weg zurück zu ihrem Platz an der Wand lächelte sie Faile zu. Und schlimmer noch, es war ein verschwörerisches Lächeln.
Faile unterdrückte ein Seufzen. Die letzten Prügel hatte sie für ein Seufzen im falschen Augenblick bekommen. Lusara gehörte zu jenen, die ihr in den vergangenen zwei Wochen die Treue geschworen hatten. Nach Aravine hatte Faile sich bemüht, bei der Auswahl sorgfältiger vorzugehen, aber jemanden abzuweisen, der die Treue schwören wollte, schuf nur einen potenziellen Verräter, und so hatte sie viel zu viele Anhänger, und einer guten Zahl davon konnte sie sich nicht sicher sein. Langsam kam sie zu der Ansicht, dass Lusara vertrauenswürdig war oder sie zumindest nicht vorsätzlich verraten würde, aber die Frau behandelte ihre Fluchtpläne wie ein Kinderspiel, als würde es keine Konsequenzen haben, wenn sie verloren. Anscheinend hatte sie das Kaufmannsgewerbe auf die gleiche Weise betrieben, mehrere Vermögen gemacht und auch wieder verloren, aber Faile würde keine zweite Chance bekommen, wenn sie scheiterten. Und das Gleiche galt für
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