Die Klinge des Löwen 01
ertönen. In der Grasmulde ruckte ein
schwarzer Pferdekopf empor. Dietrich verzog die Mundwinkel, als er
hörte, wie sein Streitroß protestierend prustete.
„ Na, warte“, murmelte
er stirnrunzelnd und nahm jetzt Zeige- und Mittelfinger beider Hände
zu Hilfe. Ein gellender Pfiff zerschnitt die Stille des Mittags wie
ein Peitschenhieb. Die Antwort war ein schmetterndes Wiehern.
Dietrich sah, wie der Rappe den Kopf hochwarf und losstürmte.
Mit dumpfem Gepolter kam er den Hang herunter, genau auf ihn zu.
Dietrich stand wie
eine Bildsäule. Die Bauern hatten ihre Arbeit unterbrochen und
beobachteten feixend das Schauspiel. Zwei, drei junge Mägde, die
nicht wußten, was hier geschah, hielten sich erschrocken die
Hand vor den Mund. Voller Bestürzung verfolgten sie mit den
Augen das auf ihren Herrn zustürmende mächtige Streitroß.
Nur noch wenige Längen war es von dem regungslos verharrenden
Mann entfernt. Sein schwarzes Fell glänzte in der Sonne wie
poliertes Ebenholz. Die stampfenden Hufe fetzten Grasklumpen nach
hinten. Noch einmal ließ der schwarze Hengst sein Wiehern wie
eine Fanfare ertönen. Dann stand er, wie von Zauberhand
gestoppt, eine Armlänge vor Dietrich. Ein dunkles, verhaltenes
Wiehern drang aus seiner Kehle, während seine weiche Schnauze sanft gegen Dietrichs Brust stieß, als wollte das Tier sagen:
„Hier bin ich, mein Freund."
Der Ritter lächelte
und tätschelte den Hals des Hengstes. Als er jedoch gewahrte,
daß die Bauern allesamt herüberstarrten, gab er sich eilig
den Anschein, als mißbillige er das ungebärdige Verhalten
seines Rappen.
„ Mußt du eigentlich
immer auffallen, Kerl?“ fuhr er ihn in gespieltem Grimm an.
„Führst dich auf wie ein Lümmel! Schäm' dich!“
Titus legte die
Ohren flach und senkte den Kopf, als wäre es ihm gleichgültig,
was sein Herr ihm vorhielt. Statt dessen fing er an, Grashalme zu
Füßen seines Herrn einzeln auszuzupfen, gerade so, als
hätte er eine besonders nahrhafte Delikatesse entdeckt. "Hör'
bloß auf, dich zu verstellen, du Spitzbube", murmelte
Dietrich, "ich weiß genau, daß du mich verstanden
hast!"
Dietrich sattelte
sein Roß selbst, denn als wenig begüterter Ritter konnte
er sich einen Reitknecht nicht leisten. Auch mußte er deswegen
ohne einen Knappen auskommen. Er
schwang sich in den Sattel und ließ noch einmal den Blick über
seine Felder schweifen. Ja, es war nicht sonderlich viel, was er sein
eigen nannte. Aber immerhin, es ernährte seinen Mann - so lange
nicht durch unnötige Streitereien die Äcker verwüstet
wurden!
Genau
das bereitete ihm jetzt Verdruß. Anselm Hutters Botschaft
begann ihn nachhaltig zu beschäftigen, und der Mißmut
ergriff wieder Besitz von ihm. Er ließ Titus im Schritt gehen.
Die Ortenburg lag kaum mehr als drei Pfeilschußweiten entfernt
hinter dem Bergausläufer. Er würde früh genug dort
ankommen, um unerwünschte Befehle entgegenzunehmen! Finster
brütete er vor sich hin und ließ sein Streitroß
gewähren, das sich seinen Weg durch das vom vergangenen
Hochwasser morastige Gelände selber suchte.
Schon
der Gedanke, daß er vor seinem Lehnsherrn erscheinen sollte,
war ihm unbehaglich. Er hatte die Burg in der letzten Zeit nicht
gerne aufgesucht. Er fühlte sich dort als ein Ritter zweiter
Klasse, obwohl Max von Ortenburg ihn niemals dergleichen spüren
ließ. Anders die Gemahlin des Burgherrn - jedesmal, wenn sie
erschien, und gar noch in Begleitung ihrer Kammerfrauen, hatte er den
Eindruck, geringschätzig behandelt zu werden.
Während
er solche Gedanken hegte, zuckelte sein Roß gemächlich
quer über eine Wiese in Richtung Burg. Schließlich
gelangten sie auf den Weg, der dorthin führte. In den mit
Blühten übersäten Schlehdornhecken, die ihn auf der
Bergseite säumten, summte und brummte es von Bienen und Hummeln.
Auf einem der noch kahlen Laubbäume des Hanges schmetterte ein
Buchfink sein weithin schallendes Frühlingslied.
Dietrich
war die langsame Gangart seines Rosses gerade recht. Ihm eilte es
wahrlich nicht, vom Lehnsherrn an seine Vasallenpflicht erinnert zu
werden. Er wußte, daß er bei Graf Max Interesse heucheln
mußte, während er in Wirklichkeit dessen heraufziehenden
Kampf mit Urban von Geroldseck verwünschte. Dabei malte er sich
aus, welch unangenehme Folgen für ihn durch diese Fehde
entstünden, und seine ohnehin düstere Miene verfinsterte
sich noch mehr. Geraume Zeit war es ruhig gewesen in der Region -
keinerlei Bedrohung, kein Streit zwischen Nachbarn, kein
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