Die Klinge des Löwen 01
gesattelt, hatte zusammen mit Giselbert
die Zelter der Frauen aufgezäumt, und schließlich waren
alle bereit, die waghalsige Flucht zu beginnen.
Vor
den Mauern ertönten Hörner und Fanfaren der Geroldsecker
Kriegsscharen, die verkündeten, daß der Feind zum Angriff
rüste.
Einige
Knechte der Burg hatten inzwischen die zwei breitesten Planken, die
zu finden waren, über den Abgrund gelegt und damit den Fluchtweg
geöffnet. Ein dickes Seil, das jenseits der Kluft an einem Baum
festgebunden und auf der Burgseite von zwei kräftigen Mannen
gehalten wurde, diente als Geländer. Die Lichtung des Tores in
der Ostmauer war, wie Dietrich erleichtert feststellte, gerade groß
genug, um die Pferde ungehindert hindurchzuführen.
Roland
wollte mit seinem Wallach als erster die schwankende Brücke
überqueren, aber Greif kam ihm zuvor. Vor lauter Begeisterung,
daß es weitergehen sollte, rannte der schwarze Wolfshund auf
den Brettern wie toll hin und her, als befände er sich auf
sicherer Erde. Das Tier benahm sich derart übermütig und
sprang an dem Knappen, der ihm mit seinem Roß folgen wollte, so
heftig empor, daß der Junge einen Absturz riskiert hätte,
wäre er hinaus auf die schwankenden Holzplanken getreten.
Dietrich
rief den Knappen zurück. „So geht das nicht! Wir müssen
Greif anbinden, sonst verursacht der schwarze Teufel noch ein
Unglück.“
Roland
lockte den Wolfshund zurück auf festen Boden, packte ihn und
ließ sich ein dünnes Seil geben, mit dem er ihn innerhalb
der Burg anband. Daraufhin ließ Greif ein infernalisches Heulen
ertönen, als fürchte er, zurückgelassen zu werden.
So
kam es, daß Roland bei ihm ausharren mußte, um ihn zu
beruhigen. Er mußte warten, bis Menschen und Tiere unter
Dietrichs Leitung glücklich den Abgrund hinter sich gebracht
hatten. Die beiden Frauen wurden mit einem Seil gesichert, Giselbert
trug das Kind hinüber, die Pferde wurden einzeln geführt,
und schließlich hatten alle, außer Roland und dessen
Hund, den Übergang glücklich geschafft.
Als
die Schar in der Deckung des hinter der Burg aufsteigenden Waldes
verschwand, wollte Greif erneut sein Geheul anstimmen, doch ein
scharfer Befehl seines Herrn zwang ihn zur Ruhe. Einer der Knechte
hielt ihn fest, bis Roland die behelfsmäßige Brücke
überquert hatte. Erst als sein Herr auf der anderen Seite war,
wurde der Hund losgelassen. Befreit von seiner Fessel, raste er,
unbekümmert um den links und rechts gähnenden Abgrund, über
die Planken und sprang winselnd an dem Knappen empor. Anschließend
jagte er lautlos weiter, die Nase am Boden, hinein in den Wald und
unbeirrbar der Spur von Dietrichs Schar folgend.
Roland
wandte sich um und winkte den Zurückbleibenden zum Abschied noch
einmal zu. Dann verschwand er als letzter im schützenden grünen
Dämmerlicht der Wildnis.
Er
eilte den anderen nach, die jetzt den weiten Weg zur Kastelburg in
Angriff genommen hatten und beflügelt wurden von dem Bewußtsein,
sich durch eine wagemutige Flucht ihren Häschern entzogen zu
haben.
Vor
ihnen lagen steile Berge und tiefe Täler, die es zu überwinden
und zu durchqueren galt. Sie würden auf weiten Strecken vom
Menschen unberührte Wildnis antreffen, und sie wußten
nicht, was sie darin erwartete. Auf sich allein gestellt, würden
sie sich allen Gefahren stellen müssen, die ihnen begegnen
mochten. Das wußten auch die beiden Frauen, und doch waren
gerade sie guten Mutes.
„ Warum
sollen wir uns sorgen“, sagte Gräfin Ida zu ihrer Zofe,
als sie den nicht sehr hohen, mit Buchen, Eichen und Fichten
bestandenen Bergrücken erstiegen, von dem aus sie hinunter in
den Reutengrund gelangen wollten. „Die beiden Krieger, die
Dietrich zur Seite stehen, und vor allem seine Klinge, haben uns
bisher gut gedient - sie werden uns auch fürderhin schützen!“
Roland,
der ihre Worte gehört hatte, erglühte seit Tagen zum
erstenmal wieder, den er hatte begriffen, daß ihn die Gräfin
auch als einen „Krieger“ ansah. Er gab sich einen Ruck
und bemühte sich, seinen Zügen einen entsprechend grimmigen
Ausdruck zu verleihen. Sogar Greif merkte auf, als er das veränderte
Gesicht Rolands sah, und entfernte sich eilig nach vorne, als wäre
ihm die zur Schau getragene Stimmung seines Herrn nicht geheuer.
Eine
Singdrossel ließ ihre Altstimme erklingen. Die melodischen Töne
erfüllten weithin die Waldeinsamkeit, als wollte der Vogel mit
seinem Gesang die Reisenden aufmuntern, die schweigend dahinzogen,
immer weiter fort von der
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