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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Jahre zehn der Republik die heißblütigen Männer des Kreises dazu angestiftet hatte, die rote Fahne zu hissen und keinen Pachtzins mehr zu zahlen. Ihr Dorf wurde von den Soldaten umzingelt, und Gao Da-yi wurde auf den Richtplatz geschleppt, wo man ihm den Kopf abschlug. Bevor er starb, weitete sich seine Brust, und seine Augen sprühten Blitze. Wir Kommunisten, so schloß das Lied, sind wie Schnittlauch, der immer wieder nachwächst.
    Als er das hörte, wurde Gao Yang warm im Bauch. Kraft schoß ihm in die Beine. Mit zitternden Lippen setzte er dazu an, eine Parole herauszubrüllen. Doch als er das Gesicht zur Seite drehte und das hellrote Staatswappen an der Mütze des Polizisten sah, fühlte er sich verwirrt und beschämt. Hastig senkte er den Kopf, streckte die Hände vor und ging mit den Polizisten weiter.
    Er hörte ein Klappern hinter sich und drehte sich um. Es war seine Tochter Xinghua. Mit einem Bambusstab, in den ein gelbes Blumenmuster eingebrannt war, ertastete sie den Weg. Als sie sich bis zu den Steinstufen am Hoftor vorgearbeitet hatte, war das Geräusch besonders hart und stach ihn ins Herz. Sein Mund verzog sich unwillkürlich. Heiße Tränen brachen hervor. Jetzt weine ich, wurde ihm bewußt. Er wollte etwas sagen, aber seine Kehle war wie zugeschnürt.
    Xinghua war halb nackt. Sie trug nur eine hellrote kurze Hose und rote Plastikschuhe, deren Riemen notdürftig mit schwarzem Garn geflickt waren. Schmutzflecke bedeckten ihren Bauch und ihren Hals. Der jungenhafte Bürstenhaarschnitt ließ die aufmerksam lauschenden weißen Ohren frei. Energisch schluckte Gao Yang an dem Kloß in seiner Kehle, aber er bekam ihn nicht hinunter.
    Als Xinghua das Bein hob, um die Schwelle zu überschreiten, fiel ihm zum ersten Mal auf, was für lange Beine seine Tochter hatte. Sie stand auf den Steinstufen, auf denen er eben noch gekniet hatte, und hielt den Bambusstock lose in der Hand. Der Stock mit dem Blumenmuster war gut einen Fuß höher als sie. Gao Yang bemerkte erstaunt, daß sie schon wieder gewachsen war. Ihr Scheitel reichte bereits bis zur halben Höhe des Türrahmens. Mit aller Gewalt versuchte er, das klebrige Etwas in seiner Kehle hinunterzuschlucken. Die Augen in Xinghuas von Ofenruß geschwärztem Gesicht waren lackschwarz. Um ihre riesigen schwarzen Pupillen gab es fast überhaupt kein Weiß. Das wirkte unheimlich, fast dämonisch. Ein sonderbar reifer, erfahrener Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Sie hielt den Kopf leicht schräg und rief erst leise fragend, dann lauthals weinend: »Papa!«
    Gao Yang schluckte immer noch an dem in seiner Kehle steckenden Kloß und spürte dabei auf seiner Zunge den Geschmack der Tränen, die ihm in den Mund gelaufen waren. Die Polizisten stießen ihn unschlüssig an. »Na komm schon«, sagte der eine, »in ein paar Tagen bist du vielleicht schon wieder frei.«
    Beim Anblick der gönnerhaften Miene des Polizisten krampften sich ihm Magen und Hals zusammen, der Mund öffnete sich ganz von selbst, weißer Schaum und hellblaue Speichelfäden quollen heraus, und die Kehle wurde frei. Er rief: »Xinghua, sag deiner Mutter …«
    Doch bevor er den Satz zu Ende gesprochen hatte, steckte der Kloß wieder in seiner Kehle.
    Gao Jinjiao trat vor die Steinstufen und beugte sich zu dem Mädchen hinunter: »Geh nach Hause und sag deiner Mutter, das Amt für öffentliche Sicherheit hat deinen Vater abholen lassen.«
    Seine Tochter sackte auf der Türschwelle zusammen. Sie drohte mit dem Oberkörper nach hinten zu fallen, fing sich aber sofort mit einer Hand ab, stützte sich mit der anderen auf den Bambusstab und schnellte wieder von der Schwelle hoch. Er sah, daß ihr Mund weit geöffnet war, als ob sie schreien wollte, aber er vernahm keinen Laut. Seine Ohren waren angefüllt mit einem mal ansteigenden, mal abschwellenden Dröhnen. Sonst hörte er nichts. Übelkeit stieg in ihm hoch. Seine Tochter hüpfte in stummer Wut auf und ab, wie ein kleiner Affe, den Schausteller an einer Kette herumzerren und mit Lederpeitschen schlagen. Mit ihrem Bambusstock drosch sie auf die Steinstufen, den harten, trockenen Erdboden und den morschen Türrahmen ein. Staub wirbelte auf. Im Hof war die jammernde Stimme seiner Frau zu vernehmen.
    »Dorfvorsteher Gao«, brüllten die Polizisten, »geh voran und zeig uns den Weg.«
    Wortlos packten sie Gao Yang unter den Armen. Sie hielten ihn von beiden Seiten wie ein schwächliches, mageres Kind und zerrten ihn eiligst zum anderen Ende des Dorfes.
2
    Gao

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