Die Knopfkönigin: Historischer Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
gewesen. Unter seinen Sachen hatte man einen Dolch gefunden, der dem beraubten und gemeuchelten Schneidermeister Gerhard, einem Bürger Budweis', gehört und dessen leere Scheide noch am Gürtel des Ermordeten gehangen hatte. Bero hatte den Schneider gekannt. Sein Großvater, der Lehnsherr Siegfried von Restwangen, hatte bei ihm Kleiderfür sämtliche Mitglieder des Haushalts in Auftrag gegeben. Kein halbes Jahr war es her, dass der Schneider überfallen worden war. Nach seinem Tod hatte die junge Witwe die Kleider alleine fertiggestellt.
Eine ganze Reihe von Raubmorden und Brandschatzungen hatte das Land im letzten Jahr in Unruhe versetzt; die Opfer waren zumeist deutschstämmige Bürger und wohlhabende Zunftmeister gewesen. Bei den Tätern soll es sich um böhmische Nationalisten gehandelt haben, die die Reichsnähe des jetzigen Königs ablehnten und sich nach ihrem alten König Ottokar zurücksehnten. König Wenzel hatte die Vögte angewiesen, Belohnungen für die Ergreifung oder Tötung dieser Aufwiegler auszuschreiben, und einige junge Ritter und deren Knappen besserten nun die Erträge ihres Lehens oder die Zuweisungen von ihren Vätern durch Kopfjagden auf.
Nele entfuhr ein Schrei, als sie ihr verschmutztes und verweintes Kind sah und den Bewaffneten, der es nach Hause brachte. Sie schloss Franziska in die Arme. Sie konnte dem Mann nicht genug danken für das, was er getan hatte.
»Dankt meinem Herrn, Bero von Restwangen, der seit Wochen im Auftrag König Wenzels Aufrührer zur Strecke bringt. Er hat für Eure Tochter gesorgt und das Ungeziefer vertilgt, das Hand an Euer Kind legen wollte«, sagte der junge Mann und verabschiedete sich, um zu seinem Herrn zurückzureiten. Bestimmt war diesem die Dankbarkeit der Schneiderwitwe Nele ebenso viel wert wie das Silber des Königs.
Es war ein festes Ritual zwischen den beiden Männern, dass sie, nachdem sie Lumpenpack das Lebenslicht ausgeblasen hatten, in eine Schänke gingen und Bier und Wein durch ihre Kehlen strömen ließen. Der Knappe zügelte seinen Durst, da er nicht in Gegenwart seines Herrn und schon gar nicht eher als dieser betrunken sein durfte. Bero würde ihn einen Schwächling heißen und ihn womöglich nicht mehr mit auf seine Streifzüge nehmen. Bero selbst hingegen kannte wenig Zurückhaltung. Wenn er getötet hatte, hatte er stets einen unbändigen Drang, sich zu betrinken – und danach das Verlangen nach einer Frau. In seiner Zeit bei der Armee hatte es Huren gegeben, die sich immer dort einfanden, wo Soldaten ihren Sold ausgeben konnten. Hierzulande waren die Dirnen seltener. Budweis war eine biedere Stadt. Dafür gab es auf den Gehöften Mägde und Bauerntöchter, die manchmal sofort willig waren, manchmal eine Münze sehen wollten und bisweilen ein paar kräftige Klapse benötigten oder auch schon mal von einem Helfer gepackt werden mussten, bevor sie sich auf den Rücken legten und die Beine spreizten. Manche von ihnen waren drall und kräftig und konnten einen guten Stoß vertragen, viele allerdings schrecklich mager und dünn. Nun, heute sollten sie ihre Ruhe vor ihm haben, dachte Bero, denn auf ihn wartete Besseres.
Franziska schlief längst fest, und Nele wollte gerade das Licht in der Stube löschen und sich in ihre Schlafkammer begeben, als sie den Hufschlag eines Pferdes und kurz darauf ein Pochen an ihrer Pforte hörte. Vorsichtig öffnete sie die Tür einen Spalt, bis sie den jungen Herrn von Restwangen erkannte, der vor wenigen Stunden ihre Tochter gerettet hatte. Sie roch den Alkohol in seinem Atem, als er an ihr vorbei ins Haus trat. Sie fragte ihn, was sie ihm anbieten dürfe, es wäre auch ein Krug Wein im Haus. Bero hob die Augenbrauen und nickte. Sie betrachtete den jungen Herrn aus der Nähe und musste sich eingestehen, dass er ihr als Mann durchaus gefiel. Der junge Ritter mochte höchstens fünfundzwanzig Jahre zählen, war also nur wenig älter als sie selbst. Er war zwar nur mittelgroß, doch mit breiten Schultern und einem markanten, gut geschnittenen Gesicht, das von braunen Locken und einem Bart umrahmt war.
Er stand noch mitten in der Stube, als sie den Weinkrug brachte. Als sie einen Becher füllen wollte, packte er ihren Arm und zog sie an sich. Rasch dachte sie an die Dankbarkeit, die sie ihm schuldete, als er auch schon seine Hand in ihr Mieder schob.
ERSTER TEIL
BUDWEIS Frühjahr 1298
Verärgert warf Franziska den unförmigen Schuh ihrer Mutter beiseite, sodass er neben einem Korb mit
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