Kleine Frivolitäten
Die Braut küsst fremd
Morgen ist mein Hochzeitstag. Ich werde heiraten. Diese Gedanken gingen Lisa durch den Kopf, während sie lustlos in dem Kuchenstück herumstocherte, das Martha, ihre zukünftige Schwiegermutter, gebacken hatte. Er war genauso trocken und fade wie sie.
Will ich Clemens wirklich heiraten?
Lisas Blicke wanderten verstohlen zu ihrem Verlobten, ein blässlicher Typ mit blonden Haaren und wasserblauen Augen, die meistens desinteressiert dreinblickten. Aber er besaß einen ehrlichen, geradlinigen Charakter.
Genau das hatte Lisa sich gewünscht. Der Mann, den sie heiraten wollte, sollte weder spontan sein, noch temperamentvoll. Auch nicht zu freigiebig oder gar abenteuerlustig. Nein, sie hatte einen schlichten, spröden Typen gesucht, nicht gutaussehend und schon gar nicht sexbesessen, denn das brachte alles nur Schwierigkeiten, Kummer und Herzschmerz.
Das Elend großer Gefühle und was daraus werden konnte, hatte sie bei ihren Eltern erlebt. Ihr Vater, ein gutaussehendes Filou, hatte pausenlos irgendwelche Affären gehabt. Er hatte sich eingebildet, dass Lisas Mutter nichts davon wusste, aber sie hatte es gewusst und darüber mehr Tränen vergossen als Wasser den Rhein hinunterläuft.
Eine Tages hatte ihm dann ein hübsches Flittchen derartig den Kopf verdreht, dass er Hals über Kopf davongelaufen war. Lisa hatte bis heute nie wieder etwas von ihm gehört. Dass er noch lebte, wusste sie nur, weil sie vor Monaten einmal sein Foto bei im Internet entdeckt hatte.
Auch die meisten Beziehungen und Ehen ihrer Freundinnen waren das reinste Chaos. Aus Prinzen wurden ruck zuck Frösche, wenn sie erst einmal die Hälfte der Miete bezahlten. An diesem Punkt ihrer Überlegungen angekommen, wanderten Lisas Blicke automatisch zu Mark Landau, der ihr gegenübersaß. Er besaß all das, was Clemens fehlte: Einen tollen athletischen Body, sinnliche Lippen, ein markantes Gesicht, volles dunkles Haar...
Nein, Clemens ist genau der Richtige für mich, ermahnte Lisa sich und sah rasch auf ihren Teller. Obwohl... Lisa musste ihr Gegenüber erneut ansehen, ...eine Nacht mit ihm wäre sicher aufregend.
Erschrocken starrte sie wieder auf ihren Teller. Wie konnte sie nur so etwas denken! Aber denken war ja keine Sünde. Mark sah nun mal blendend aus und bloß, weil sie verlobt war, musste sie ja nicht mit Scheuklappen durch die Welt laufen!
Mark war Clemens' Freund. Sein einziger!
Sie kannten sich aus ihrer gemeinsamen Schulzeit. Aber ihre Wege hatten sich schon während der Ausbildungszeit getrennt. Inzwischen beschränkte sich der Kontakt zwischen den beiden auf ein gelegentliches Telefonat oder eine kurze Mail, der Art: 'Hallo, alles okay bei dir? Ja, danke, mach's gut, bis demnächst'.
Was hätte sie sich auch zu sagen gehabt? Clemens lebte nach wie vor in seiner Heimatstadt und im Hause seiner Mutter. Mark war dagegen nach München gezogen und arbeitete dort für einen international agierenden Konzern.
Zu seiner Hochzeit hatte Clemens den Freund aus Kindertagen allerdings wieder ausgegraben. Mark sollte Trauzeuge sein. Wahrscheinlich war die Vorstellung, nur mit seiner Mutter und seiner Braut vor dem Standesbeamten zu stehen, selbst für den knochentrockenen Clemens deprimierend.
***
Ich hasse diesen Tag, ich hasse Clemens, ich hasse seine vertrocknete, bösartige Hexe von Mutter! dachte Mark, während er auf seinem Teller kleine Kugeln aus Kuchenkrümeln formte. In Gedanken schnippte er sie in Richtung Tischdekoration, ein rosafarbenes Plastiktaubenpärchen, das miteinander schnäbelte. Kitsch pur!
Schnipp – plopp – schnipp – daneben.... Schnipp – plopp – oops, getroffen. Die Tauben fielen um.
Erschreckt sah Mark auf, direkt in Marthas empört funkelnde Augen.
"Ich glaube", ihre Stimme klirrte vor Kälte. "wir sollten die Kaffeetafel jetzt aufheben. Es ist der letzte Abend, den ich mit meinem Sohn alleine verbringen kann. Wir haben noch einiges zu besprechen. Außerdem muss sich mein Junge ausruhen."
"Ja, Martha!" Lisa sprang behände auf und begann, das Geschirr abzuräumen. Keine zehn Minuten später stand sie zusammen mit Mark draußen vor der alten Villa und sah nachdenklich auf die geschlossene Haustür.
Ab morgen würde das Haus ihr Zuhause sein. Der Gedanke jagte ein Frösteln durch ihren Körper.
"Sie mag mich nicht." Marks Worte rissen Lisa aus ihrer Grübelei. Sie wandte den Kopf und sah ihn an.
"Martha mag niemanden", lächelte sie schüchtern. "Sie kann niemanden ausstehen,
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