Die Komplizin - Roman
für den anderen aber nicht. Wenn so etwas wirklich freundschaftlich vonstatten geht, dann nur, weil beide von Anfang an nicht mit dem Herzen bei der Sache waren.«
Ich trank einen Schluck – nein, mehr als einen Schluck – von dem Wein, der an meinem Gaumen unangenehm brannte. Jedes Mal, wenn ich an Amos dachte, spürte ich wieder das vertraute Ziehen in der Brust – keinen richtigen Schmerz, sondern die Erinnerung an einen Schmerz, der sich längst tief in mein Inneres zurückgezogen hatte und ein Teil von mir geworden war.
»Tja«, sagte ich leichthin, »wir haben es geschafft, irgendwie Freunde zu bleiben. Was auch immer das über unsere ursprüngliche Beziehung aussagen mag.« All unsere hochgespannten Erwartungen und überschwänglichen Zukunftspläne hatten nicht in einem explosionsartigen Höhepunkt gegipfelt, sondern waren langsam verwelkt und gestorben. Zurückgeblieben war nur ein lang anhaltendes Gefühl von Enttäuschung, eine quälende Unzufriedenheit mit uns, insbesondere mit mir selbst. Wir hatten es beide schon monatelang gewusst, aber uns nicht eingestehen wollen, dass die Reise, die wir gemeinsam angetreten hatten, langsam zu Ende ging und sich unsere Wege bald schon trennen würden. In mancher Hinsicht wäre mir Sonias Katastrophe lieber gewesen als dieses allmähliche Einrosten, diese schleichende Korrosion, die wir mit einem Gefühl ohnmächtigen Bedauerns erlebt hatten.
»Wer hat eigentlich Schluss gemacht?«
»So war das nicht.«
»Trotzdem muss jemand die Worte ausgesprochen haben.«
»Vermutlich ich. Aber nur, weil er nicht den nötigen Mumm besaß.«
»Hat es ihn sehr getroffen?«
»Keine Ahnung. Ich weiß nur, wie es für mich war – aber das weißt du ja auch. Schließlich hast du es ja teilweise mitbekommen.«
»Ja«, bestätigte Sonia, »traurige, alkoholvernebelte Abende.« Wir grinsten uns wehmütig an. Das alles schien mir schon eine Ewigkeit zurückzuliegen. Jedenfalls war es so lange her, dass Sonia mittlerweile in Betracht zog, meinen Platz einzunehmen. Ich schauderte ein wenig.
»Du hast mir geholfen, diese Zeit zu überstehen. Du und Sally.«
»Und der Whisky.« Sentimentale Anwandlungen schmetterte Sonia immer schnell ab.
»Und der Whisky, das stimmt. Whisky, Bier, Kaffee, Musik… Apropos…«
»Glaubst du, Amos möchte mit dir in einer Band spielen?«
»Ich hab ihn noch nicht gefragt. Keine Ahnung.«
Sonia musterte mich einen Moment eindringlich, dann nickte sie. »Du hast absichtlich bis zum dritten Glas Wein gewartet, bevor du mich gefragt hast, stimmt’s?«
»Bis zum zweiten, glaube ich.«
»Definitiv bis zum dritten«, erklärte Sonia und nahm wie zur Bestätigung einen Schluck. »Als Gegenargument wäre zu nennen, dass du mich bisher nur im Chor gehört hast.«
»Nicht zu vergessen der Karaokeabend letztes Jahr.«
»War das ich?«
»Eine der besten Versionen von ›I Will Survive‹, die ich je gehört habe.«
»Als Proargument könnte ich anführen, dass ich niemanden von den Leuten kenne, für die ich singe. Spielt es eine Rolle, ob man sich vor Menschen zum Narren macht, die man nicht kennt?«
»Das ist, als würde mitten im Wald ein Baum umfallen.«
Danach
Ich holte mein Handy hervor, schaltete es ein und tippte hektisch die ersten drei Zahlen. Dann überlegte ich es mir anders, schaltete das Telefon wieder aus und ließ es zurück in die Tasche fallen, als könnte ich mir daran die Finger verbrennen. Ich wusste aus der Zeitung, dass die Experten inzwischen in der Lage waren, jedes Telefonat genau zurückzuverfolgen: nicht nur, mit wem man gesprochen hatte, sondern auch, von wo genau der Anruf kam. Auf diese Weise wurden Täter gefasst und falsche Alibis aufgedeckt.
Ich konnte also weder übers Festnetz telefonieren noch sein
Handy benutzen, das nach wie vor in meiner Tasche steckte. Kurz spielte ich mit dem Gedanken aufzugeben. Warum wählte ich nicht einfach die Notrufnummer und heulte der unpersönlichen Stimme am anderen Ende etwas vor? Krampfhaft versuchte ich, die Gedanken, die mir durch den Kopf schwirrten, zu sortieren und der Reihe nach abzuarbeiten. Schließlich griff ich nach den Schlüsseln in der Schale, vergewisserte mich, dass der Wohnungsschlüssel darunter war, und schob – erneut durch meinen Ärmel geschützt – den Türriegel zurück. Nach einem letzten schnellen Blick auf die Leiche trat ich hinaus auf den Treppenabsatz und zog die Tür hinter mir zu. Mit einem erschreckend lauten Klicken fiel
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