Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don Juan
Köder prüfen müsse, bevor er sich entscheide, ob er ihn annehmen wolle oder nicht.
Es war sehr dunkel in der Höhle, und der kleine Raum wirkte beengend. Normalerweise hätte ein Raum von solchen Ausmaßen mir klaustrophobische Gefühle bereitet, aber die Höhle besänftigte mich immer noch und zerstreute mein Gefühl des Unbehagens. Auch war da etwas an der Form der Höhle, das den Nachhall von Don Juans Worten verschluckte.
Don Juan erklärte, daß jede Handlung, die ein Zauberer - besonders ein Nagual - ausführt, entweder ausgeführt wird als Mittel, um seine Verbindung mit der Absicht zu stärken, oder als eine durch dieses Bindeglied selbst ausgelöste Reaktion. Zauberer, und besonders die Naguals, müßten daher aktiv und ununterbrochen Ausschau halten nach Offenbarungen des Geistes. Solche Offenbarungen bezeichne man als Gesten des Geistes oder, einfacher, als Zeichen oder Omina.
Und nun wiederholte er eine Geschichte, die er mir bereits früher erzählt hatte; die Geschichte, wie er seinem Wohltäter, dem Nagual Julian begegnet war.
Don Juan war von zwei hinterlistigen Männern verleitet worden, einen Job auf einer einsamen Hazienda anzunehmen. Einer von ihnen, der Vorarbeiter der Hazienda, ergriff einfach Besitz von Don Juan und machte ihn tatsächlich zum Sklaven.
Verzweifelt, und ohne einen anderen Ausweg, flüchtete Don Juan. Der gewalttätige Vorarbeiterjagte ihm nach und stellte ihn auf einer Landstraße, wo er Don Juan durch die Brust schoß und als tot liegenließ.
Don Juan lag bewußtlos auf der Straße und verblutete, als der Nagual Julian des Weges kam. Mit Hilfe seiner Kenntnisse als Heiler brachte er die Blutung zum Stillstand. Er nahm Don Juan, der noch immer bewußtlos war, mit nach Hause und pflegte ihn gesund.
Die Zeichen, die der Geist dem Nagual Julian hinsichtlich Don Juans gegeben hatte, waren - erstens - ein kleiner Zyklon, der ein paar Meter entfernt von dort, wo er lag, den Staub von der Straße aufwirbelte. Und das zweite Omen war jener Gedanke, der dem Nagual Julian durch den Sinn gegangen war, kurz bevor er in wenigen Metern Entfernung den Pistolenschuß gehört hatte: daß es Zeit sei, einen Nagual-Schüler anzunehmen. Gleich darauf gab der Geist ihm das dritte Omen, als er nämlich in Deckung springen wollte, und statt dessen mit dem Revolverschützen zusammenprallte, womit er ihn in die Flucht jagte und wahrscheinlich hinderte, ein zweites Mal auf Don Juan zu schießen. Solch ein Zusammenstoß mit einem anderen, das war ein Schnitzer, den sich kein Zauberer, geschweige denn ein Nagual, je leisten durfte.
Der Nagual Julian erkannte sofort die Chance. Als er Don Juan sah, verstand er den Grund für die Offenbarungen des Geistes: Hier war ein doppelter Mensch, ein perfekter Anwärter darauf, sein Nagual-Schüler zu werden.
An dieser Stelle meldeten sich meine rationalen Skrupel. Ich wollte wissen, ob Zauberer ein Omen auch falsch deuten könnten.
Meine Frage, erwiderte Don Juan, klinge zwar ganz legitim, sei aber unzutreffend wie die meisten meiner Fragen, weil ich sie aufgrund meiner Erfahrungen in der Alltagswelt stellte. Sie bezögen sich daher stets auf nachprüfbare Verfahren, einzuhaltende Methoden und genau zu befolgende Regeln, während sie nichts zu tun hätten mit den Prämissen der Zauberei. Der Fehler in meinen Überlegungen sei, wie er sagte, daß ich stets versäumte, meine Erfahrungen in der Welt der Zauberer einzubeziehen.
Ich wandte ein, daß nur wenige meiner Erfahrungen in der Welt der Zauberer von Dauer wären und daß ich solche Erfahrungen daher nicht in meinem gegenwärtigen Alltag nutzen könne. Nur wenige Male, und nur wenn ich in einem Zustand extrem gesteigerter Bewußtheit war, hätte ich mich an alles erinnern können. Auf jener Ebene gesteigerter Bewußtheit, die ich normalerweise erreichte, sei die einzige Erfahrung, die eine gewisse Kontinuität zwischen Vergangenheit und Gegenwart beweise, meine Bekanntschaft mit ihm.
In scharfem Ton erwiderte er, ich sei durchaus in der Lage, den Überlegungen der Zauberer zu folgen, weil ich die Prämissen der Zauberei auch in meinem normalen Bewußtseinszustand erfahren hätte. Etwas milder gestimmt, fügte er hinzu, daß die gesteigerte Bewußtheit allein nicht alles offenbare, solange das ganze Wissensgebäude der Zauberei nicht vollendet sei.
Und dann beantwortete er meine Frage, ob Zauberer ein Omen auch fehldeuten könnten. Wenn ein Zauberer ein Omen deute, erklärte Don Juan, dann wisse er
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